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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Stare, Amseln, Lerchen und andere.
    Nur einmal war er von einer Frage überrascht worden, wie auch von der fragenden Person und ihrer Anmut, einer Frau, einer Schwarzen aus Boston. Sie war mit einer Gruppe älterer Menschen gekommen und ihm sofort aufgefallen. Höflich hatte sie sich vorgestellt, sie heiße Phyllis, und dann gefragt: Ob das Fehlen mechanischer Geräusche ihn den Wind genauer hören ließe.
    Eine ungewöhnliche Frage. Er hatte nachgedacht und ihr, die ihn freundlich aus der mit Fell besetzten Kapuze ihres knappen, wattierten, dunkelroten Anoraks ansah, gesagt, er sei sich nicht sicher, er werde darauf achten.
    Was sie hierhergeführt habe?
    Rilke, sagte sie, sie habe ihn schon auf dem College gelesen. Er sei auf der Insel Neuwerk gewesen. Und sie sagte mit weich klingender Stimme die Gedichtzeilen auf:
Die Insel ist wie ein zu kleiner Stern
welchen der Raum nicht merkt und stumm zerstört
in seinem unbewußten Furchtbarsein,
so daß er, unerhellt und überhört,
allein
damit dies alles doch ein Ende nehme
dunkel auf einer selbsterfundnen Bahn
versucht zu gehen, blindlings, nicht im Plan
der Wandelsterne, Sonnen und Systeme.
    Er fragte sie überstürzt, wo sie dieses gute Deutsch gelernt und was sie nach Deutschland geführt habe, in das Nifelheim.
    Am vorigen Tag hatte sie einen Gastauftritt in Cuxhaven gehabt. Und werde heute auf Neuwerk übernachten. In dem schönen Hotel Nige Hus. Sie war Sängerin am Landestheater in Coburg.
    Zum ersten Mal hatte er bedauert, dass die Gruppe nach einer Stunde wieder gefahren war.
    Sie hatte ihm ihre Adresse gegeben, schreiben Sie mir von dem, was und wie Sie hören und überhaupt, wie es Ihnen hier geht. Ich werde an Sie denken.

    Einige Tage darauf hatte er von Phyllis geträumt. Es war ein merkwürdiger Traum, der ihm den Tag über deutlich vor Augen geblieben war und so gar nicht zu der zierlichen Gestalt dieser jungen Frau und ihrer Stimme passen wollte. Sie war mit einem Traktor auf dem Watt herumgefahren und von der Flut überrascht worden. Er sah sie durch sein Fernglas auf dem Traktor stehen und winken. Wie sollte er helfen? Er war in das Wasser gestiegen, aber es war eisig kalt, und so war er umgekehrt. Als er wieder in ihre Richtung blickte, sah er sie, wie sie mit dem Traktor, der offenbar einen Schiffsleib hatte, durch das Wasser pflügte.
    Er hatte sich vorgenommen, ihr zu schreiben, auch von dem Traum zu berichten, es jedoch immer wieder verschoben. Aber er hatte sich von Bauer Jessen einen Mandelbaumsetzling bringen lassen und ihn, was verboten war, es galt strenger Naturschutz, eingepflanzt. Er würde gedeihen, hoffte er, bis zur nächsten großen Sturmflut.
    Eschenbach machte seinen kleinen Rundgang auf der hölzernen Plattform, beobachtete durch das Fernglas die Vogelschwärme, von hier aus nicht genau zu identifizieren, aber zur Gruppe der Watvögel gehörend. Tausende, die drüben von den Stränden der Nachbarinsel Nigehörn aufflogen, eine lang gezogene, dunkle, sich ständig verändernde Wolke, und nach einer langen Schleife wieder in der Nähe der zerfallenen Holzhütte einfielen.
    Er trug den Sessel zurück in die Hütte.

    Mit ihrer Ankündigung zu kommen, war sie ihm fern gerückt, während ihre Stimme ihm zuvor aus der Ferne nahegekommen war. Sie kam nicht mehr von selbst, er musste an sie denken.

    Auf dem Werkstattfest hatte er sich mit Ewald zum Segeln verabredet. Das Wetter sollte zum Wochenende gut werden, Sonne und Wind. Selma konnte nicht kommen, da sie ihre Eltern in Polen besuchen musste. Und Anna wollte nicht mitkommen, auf Eschenbachs Einwurf wie schade reagierte sie nicht.
    Ewald erzählte später, dass sie beim Segeln, wenn der Wind gut war und er kreuzen musste, jedes Mal in Streit geraten seien, weil Anna ihm den Vorwurf machte, er lege das Boot absichtlich so schräg in den Wind. Auch seine nautischen Vorträge von der Notwendigkeit, beim Kreuzen hoch an den Wind gehen zu müssen, was die Schräglage zur Folge habe, da man sonst nie zum heimatlichen Jachtclub zurückkäme, überzeugten sie nicht.
    Anna weiß immer genau, wozu sie Lust hat und wozu nicht.
    Eschenbach glaubte, Unwillen aus den wenigen Worten Ewalds herausgehört zu haben, jedenfalls war Ewald, wie er selbst sagte, immer auf der Suche nach Mitseglern. Als er auf der Werkstattfeier hörte, dass Eschenbach segeln konnte, sogar Scheine hatte, rief er Heureka und verabredete sich sogleich, wenn denn die Winde wehen, zu einer Herrentour . Und wirklich wehte am

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