Vogelweide: Roman (German Edition)
Eimerbagger brachten mit dem Schlick immer wieder Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg hoch. Diese Bombe hier, die sie gerade entschärft hatte, war nach dem Krieg abgeworfen worden, versehentlich. Vielleicht auch aus Jux. Die britischen Piloten übten das Abwerfen auf einer anderen Sandbank.
Es war kein Säurezünder, die sind tückisch. Dieser war unkompliziert. Hat keine Maleschen gemacht.
Was für ein sonderbares Wort – Maleschen –, dachte er im Erwachen, wenn die Arbeit um Leben und Tod geht.
Am Strand sammelte er das angeschwemmte Holz auf. Äste, Bretter, Holzblöcke, Planken, Teile von Holzstühlen, Bänken, auch kleinere Baumstämme, Wurzeln und Pfosten. Er schichtete das Holz auf die Schubkarre und fuhr es zur Hütte, stapelte es unter der Plattform zum Trocknen auf. Das schon getrocknete Holz zersägte er und spaltete es zu Scheiten. Das war das Heizmaterial für den kleinen Ofen. In den vergangenen Monaten hatte er mit gleichbleibendem Fleiß nicht nur für den jetzt schon kühlen September und den kommenden Oktober Holz gesägt und gespalten, sondern auch für seinen Nachfolger im nächsten März. Wie auch seine Vorgängerin ihm Brennholz hinterlassen hatte. Diese Holzarbeit, das Anheizen des Ofens, das Aufsetzen des verbeulten Kupferkessels, der, so die Fama, vor dreißig Jahren angetrieben worden sei, ließ ihn an Robinson Crusoe denken, in der Kindheit sein Lieblingsbuch. Nur durfte er hier den Blick nicht auf den Horizont richten, wo die großen Containerschiffe von und nach Hamburg fuhren.
Äste und Wurzeln, die länger im Wasser getrieben und vom Salz und Sand weiß poliert worden waren, lagen im Sand. Einige besonders auffallende Stücke hatte er ausgesucht und gesammelt, sie neben der Hütte zu zwei mannshohen Stelen aufgestellt. In die eine Stele hatte er oben weiße und schwarze Vogelfedern gesteckt, in die andere seinen schönsten Fund, eine angeschwemmte blaue, zur Hälfte kalkweiß verkrustete Glaskugel, gebunden.
Er setzte sich an den Schreibtisch und begann wieder einmal mit dem Ordnen und der Kommentierung der Gesprächsprotokolle, die er vor fünf Jahren gesammelt hatte. Hier auf der Insel wollte er auch diese Arbeit abschließen. Der Lektor des Reisebuchverlags hatte ihm immer wieder zugeredet, die Protokolle mit einem längeren Vorwort herauszugeben. Zwar kam der Reisebuchverlag für eine Veröffentlichung nicht in Frage, dort vermutete man ein solches Buch nicht, aber der Lektor war davon überzeugt, den Kollegen eines anderen Verlages dafür interessieren zu können.
Eschenbach hatte einige der Protokolle abschreiben lassen, andere hatte er – ohne Zeitnot – selbst abgeschrieben, um dem Sprachduktus der Befragten nahezukommen. Erzählungen und Berichte, die ihm zugefallen waren, hatte er in Notizen zusammengefasst wie dieser:
Von der seltsamen, lang anhaltenden, hartnäckigen Leidenschaft einer Frau.
Als Studentin hatte Irene B. im ersten Semester einen jungen Mann kennengelernt, eine Nacht mit ihm verbracht, woraufhin der junge Mann, höchst ungewöhnlich, sagt, er wolle eine Freundschaft, eine nahe, herzliche Freundschaft, ein körperlicher Kontakt sei für ihn nicht möglich, es fühle sich falsch an, womit er sein Nichtbegehren bestimmt, im Gegensatz zu ihrem Wunsch nach unbedingter Nähe. Daraufhin begleitet sie ihn als Freundin, eine gut aussehende Frau, eine freundliche Erscheinung, nichts Herbes, witzig, nicht wehleidig, sie, die nur eine kurze Zeit der Irritation durchlebte, weil ein Psychologe ihre Fixierung auf diesen Mann zu lösen versuchte, um sie zur Normalität, das heißt zu anderen möglichen Beziehungen zu führen. Was auch zu gelingen schien. Sie fand einen Mann, liebenswert, unternehmungslustig, machte zwei unvergessliche Reisen mit ihm, das war genug, Irene B. verließ ihn, um zu der Jugendliebe zurückzukehren, dem Mann, der inzwischen eine Frau und zwei Kinder hatte; sie fand eine Wohnung im Nachbarhaus, ist jederzeit einsatzbereit, weshalb sie, wie der Mann sagt, die Kinder mit beansprucht – Tante Irene. Und so hält ihre Seelenliebe an, wurde nie mehr von einem anderen Mann abgeleitet.
Sind sie glücklich?
Sie sind zufrieden, denke ich, und haben gefunden, was sie suchten.
Und wie jedes Mal, wenn er an den Aufzeichnungen arbeitete, war dann auch sie da, die Norne, wie er sie für sich nannte, mit diesem schräg von unten kommenden Grinsen.
Bei der ersten Begegnung hier – sie war vor einem Jahr gestorben – stand sie so deutlich
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