Vogelweide: Roman (German Edition)
geht es dir wirklich gut? Und er sagte, ja. Wirklich.
Nach zwei Jahren war sie bei Ewald eingezogen und hatte ihre Werkstatt in sein Haus verlegt, in den Keller. Du kennst ja das Haus. Ich arbeite, wie du weißt, gern im Untergrund.
Ewald und Selma hatten ihn mehrmals eingeladen, aber er lehnte jedes Mal ab. Er traf sie einzeln, und dann fiel hin und wieder, eher selten, auch der Name Anna, aber sie vermieden es, über das Gewesene zu sprechen.
War der Wind sanft, strich er mit einem leisen melodischen Pfeifen, nein, eher mit einem Hauchen, so als wolle er etwas kühlen, über den Strandhafer der Dünen. Kamen Böen, war es ein Rauschen, das dann leiser wurde. Ein Rascheln, das ihn an ein Hochzeitskleid in einer Kirche denken ließ. Eine polnische Freundin von Selma hatte es getragen. Ein Kleid aus dunkelroter Seide. Die Freundin wollte mit der Begründung, sie sei nicht mehr unschuldig, unbedingt in roter Seide heiraten. Eine verrückte Idee. Der polnische Pfarrer weigerte sich, sie in dem Rot zu trauen. Daraufhin fuhr die Eigensinnige mit ihrem Bräutigam, einem Tischler, nach Berlin, ließ sich von einem evangelischen Pfarrer taufen – auch der Bräutigam – und heiratete in Rot. Eine schöne, rot raschelnde Protestantin.
Es gab den rhythmischen Wind, wie jetzt, Windstöße, da lag über den Dünen ein Fauchen wie von einem Blasebalg.
Und jedes Mal roch er das Meer und schmeckte das Salz auf den Lippen.
Und deine Tochter, hatte ihn der Freund bei ihrem letzten Treffen in Berlin gefragt. Sie saßen in der kleinen Küche mit dem Blick in den Hinterhof. Der Freund hatte sein Projekt bei der UNESCO abgeschlossen und war an die Universität zurückgekehrt. Und schimpfte über die nach der einstmals so üppigen Stadt Bologna benannte Studienreform, die nach ökonomischen Interessen ausgerichtet worden sei, zeit- und kostensparend und Halbbildung erzeugend. Allein das Wort Modul. Und wie immer, wenn er sich erregte, purzelten in seinem so elaborierten Deutsch die Artikel durcheinander. Ruhiger wurde er erst, als er von seiner jetzt wieder aufgenommenen Forschungsarbeit erzählte, eine Arbeit, die sich schon über Jahre hinzog, über den Damast und die Wege, die der Stoff im Tausch nahm, nach der Hadsch von Mekka durch Afrika in den Senegal. Wie sehr der Damast den Tausch, die Sprache, das Geld bestimmt hatte.
Was macht deine Tochter?, fragte er nochmals.
Ich glaube, ihr geht es gut. Bewegt die Millionen.
Und die Mutter?
Lebt immer noch in Goa.
Sabrina, die über Weihnachten ihre Mutter dort besucht hatte, gehetzte drei Tage, dann rief die Bank sie an den Rechner zurück, sagte, Mami ist jetzt mit einem Schweden zusammen, ein Indologe und – erstaunlich – älter als sie.
Er hatte seine Frau nach seinem Bankrott einmal besucht. Ein Billigflug mit Hippieveteranen.
Bea wohnte nahe dem Strand in einer Villa mit barocken Voluten über Fenstern und Türen und einem auf zwei Säulen ruhenden Portikus. Das Haus strahlte, obwohl der Putz wie von Blattern befallen war, immer noch Herrschaft und Plantagenreichtum aus. Ein portugiesischer Fabrikant, der Arrak aus Palmwein brennen und nach Europa verschiffen ließ, hatte es 1909 bauen lassen. Die Zahl war, vom Zahn der Zeit angenagt, in einer schwungvollen Goldschrift über dem Portikus zu lesen.
Nimm ein Taxi vom Flughafen, hatte sie am Telefon gesagt. Der Verkehr ist mörderisch. Ich fahr nicht gern mit dem Auto.
Sie kam ihm in einen Sari gehüllt entgegen, ein teurer Seidenstoff, das sah er gleich. An den grazilen, braun gebrannten Füßen trug sie zierliche Silbersandaletten, die hellblonden Haare waren zu zahlreichen Zöpfchen geflochten. Von Weitem wirkte sie wie ein Blumenkind der frühen siebziger Jahre, von Nahem sah man die jahrelange Arbeit der Sonne an der braunen Haut, ein Craquelé um Mund und Wangen, allein die Augen hatten noch immer den hellblauen jugendlichen Glanz. Als er sie besucht hatte, lebte sie noch mit dem zehn Jahre jüngeren, sich auf ihrem Erbe ausruhenden und nicht mehr praktizierenden indischen Arzt zusammen. Ein gutaussehender, junger Mann mit englischen Manieren.
Das Erbe, eine große Geldsumme, gut zwei Millionen Mark, war ihr, kurz nachdem Eschenbach sich von ihr getrennt hatte, zugefallen. Ihr Bruder hatte den Familienbetrieb verkauft. Eine Fabrik in Niedersachsen, in der Duschsysteme, Badewannen und Klosetts hergestellt wurden. Keiner der beiden Brüder, und sie schon gar nicht, mochte die Firma weiterführen.
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