Vogelweide: Roman (German Edition)
aussprach, war es ein einziges Igitt, wieder mit der Gerechtigkeit gekommen. Die Alten, ewig jammern sie und klagen.
Aber doch nicht Opa und Oma. Denen geht es doch gut. Die stoßen doch nur in die Trompete für Aufstand und Rebellion.
Gut, die beiden nicht. Die nerven nur mit ihrer über den Gerechtigkeitsdaumen gepeilten Kritik. Nein, du musst bloß in die Restaurants und Cafés gehen. Da sitzen sie und verknuspern ihre Rente. Und die Schulden zahlen meine Kinder.
Du hast doch keine.
Aber wenn, dann. Soll man der nächsten Generation sagen, die Alten haben alles aufgefressen, haben sich endlos zu Tode pflegen lassen? Und dann kommt Opi mit seiner sozialen Ungerechtigkeit. Ein Prozent der Bevölkerung besitzt 50 Prozent des Nettovermögens. Das ist immer noch Club Voltaire. Den hat er doch mitgegründet? Nee, republikanisch hieß der. Damals schon unzeitgemäß. Der war doch unter den Studenten schon ein gestandener Mann, Studienrat für Latein und Griechisch. Ostermarschierer auf Sandalen. Und jetzt diese Wohnkommune.
Sie wollte ihn verletzen, denn der Alte hatte natürlich auch ihr vorgehalten, wie er es auch ihm vorhielt, nichts zu tun, politisch. Die Revolution. Das konnte der Alte in seiner gemütlich eingerichteten Rentnerkommune sagen. Die Revolution wird kommen. Es werden die sein, die nach Einsicht handeln. Nicht die Deklassierten. Das System ist an seine Grenzen gekommen. Es knirscht und knackt. Während Eschenbach sich das gelassen anhörte, immerhin hatte er als Student drei Monate lang mit anderen ein Haus in Kreuzberg besetzt, war es für Sabrina eine, wie sie das nannte, Provokation. Aber selbst dieses Wort in ihrem Mund war immer noch von einer fernen Empörung aufgeladen. Denn der Opi, der Alte, wie er ihn nannte, wusste, wie man die Enkelin in ihrer schwarzen, fein grau gestreiften Kostümjacke und den engen schwarzen Hosen reizen konnte. Er saß in dem von einer alten Freundin gestrickten, mehrmals gestopften Pullover, den abgewetzten Kordhosen im Sessel und redete vom Konsumterror. Ein Wort aus der politischen Steinzeit. Und sie, diese magere, mit dicken Boni ausgestattete Dreiunddreißigjährige konnte sich jedes Mal wieder erregen, sagte, so ein Quatsch, und setzte als eine gute, vom Opi früher dafür gelobte Deutschschülerin hinzu: Getretener Quark wird breit, nicht stark, ging dann, nicht gerade die Türen schlagend, aber doch laut und bestimmt aus der altengerechten Wohnung. Wahrscheinlich war es dem Alten gelungen, der jungen Frau, seiner Enkelin, die von sich sagte, man muss performativ sein, den Abgang zu verschaffen, den sie sich wünschte. Und die Omi, die daneben saß, war dann noch hinterhergelaufen und hatte gerufen: Bleib doch.
Die beiden Alten widerlegten die verbreitete Meinung, dass Großeltern sich mit den Enkeln besser als mit den Kindern verstehen.
Und dann kam sie zu ihm, ihrem Vater, in sein Zimmer mit dem Blick in den Hof, und sagte, dieses Gerede finde sie unerträglich. Soziale Ungerechtigkeit, wenn sie das schon höre. Guck dir die Hartz-IV-Empfänger in deinem Viertel an, laufen doch mit zwei Handys und einem iPod herum. So etwas konnte sie sagen. Kein ironischer Unterton. Im Ernst, sagte sie, und er sah wieder den Mund, die Lippen zusammengepresst, die, wie er fand, im letzten Jahr schmaler geworden waren.
Sie wollte sich taufen lassen, neuerdings. Wollte katholisch werden. Was sie noch davon abhielt, vermutete er, war die für ihren Geschmack viel zu hohe Kirchensteuer.
Der Alte, der ihn, Eschenbach, für die missratene Enkelin verantwortlich machte, war überzeugt, das Geld sei letztendlich für sie kein Hindernis, denn wenn man schon an den finanziellen Schweinereien beteiligt ist, will man wenigstens beichten können.
Nein, sagte Eschenbach, wenn es schon hienieden zu viel Ungerechtigkeit durch die Sozialsysteme gibt, dann sollen wenigstens im Nachleben, wo man in einem schönen Hedonismus und ohne Gewerkschaften und Steuern die Ewigkeit genießen kann, die Faulen, Erfolglosen abgestraft werden.
Früher war der Internationalismus Solidarität. Heute ist er Konkurrenz, sagte der Großvater. Ich schau mir das an. Ich hoffe, die Pension hält so lange, ich sehe diese jungen, toughen Typen, die ich so zum Kotzen finde, diese Leute, die immer von der alten Generation reden, die Neoliberalen, die genaugenommen für die Massentötung sind.
Was?
Ja, darum sind die auch für die Sterbehilfe. Ein ökonomischer Aspekt. Entlasten die Renten- und
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