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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Karotte übertrieben sorgfältig ab.

    Hin und wieder wollte er der Geflohenen schreiben, aber sonderbar genug, er setzte sich an den Schreibtisch, an diese helle Platte aus Eibenholz, und statt zu schreiben begann er ein Gespräch mit ihr. Deutlich hörte er ihre Worte, sah ihre Gesten, ihre Augen, ihr Lachen, auch ihren strikten abweisenden Ernst, wenn er ihr von seinem Wunsch nach Nähe sprach. Hinzu kam, er hätte nicht gewusst, wie er sie anreden sollte. Liebe Anna zu schreiben, erschien ihm ganz unmöglich.
    Alles, was er von ihr wusste, waren Erzählungen, die ihn über Selma erreichten, die sie von Ewald erfahren hatte. Auch das: Anna hatte in New York ein Kind bekommen, einen Jungen. Ewald sprach nicht darüber, und Eschenbach fragte nicht, es wäre eine peinliche Kumpanei gewesen. Das Schweigen aber schuf eine eigentümliche Nähe zwischen ihnen, das Wissen von einem Wissen, das nicht ausgesprochen wurde.
    Jetzt wohnte sie, dank der brüderlichen Green Card, mit den Kindern in Los Angeles. Er hörte, sie habe ein Bild von Cy Twombly verkauft, mit großem Gewinn. Den zeigte Selma mit den Händen. Das Dreihundertfache des Kaufpreises. Das war die finanzielle Basis, mit der sie eine Galerie eröffnen konnte, die sich auf deutsche Maler spezialisierte. Die Leipziger Schule. Sie war, hieß es, erfolgreich. Ab und zu hörte er, dass sie wieder einmal in Berlin gewesen sei. Aber das erreichte ihn immer erst, wenn sie schon wieder zurückgeflogen war. Und jedes Mal wieder war es ein Stich, nein, ein Schmerz, der ihn über Tage begleitete, dass sie sich nicht gemeldet hatte. Dass er diesen Satz: Ich will und ich kann nicht mehr, wörtlich nehmen musste. Endgültig.

    In der Hütte hing ein angeschwemmter Rettungsring, den einer seiner Vorgänger am Strand gefunden hatte. Das Rot war von Salz und Sand abgeschmirgelt. Der Name des Schiffs war nur noch schemenhaft zu erkennen: Orion . Seine Vorgängerin hatte Seeschnecken und Muscheln gesammelt. Ein großer getrockneter Seestern, die körnige Oberfläche war eigentümlich dunkelrot gefärbt und ging an der Spitze der fünf Arme ins Violette über. Und es lag das Stück einer Planke da, die irgendein Vorgänger am Strand gefunden hatte, darin waren die Worte eingeschnitzt: The seas only gift are harsh blows .

    Wie genau er sich an ihr Gehen erinnern konnte, große Schritte, die Arme bewegte sie mäßig, kein Schlenkern, kein Rudern. Damals, als sie durch die Stuhlreihe ging, war es ein vorsichtiges Seitwärtsschieben. Nur einmal, als sie an der Ostsee waren, am Strand, hatte er sie laufen gesehen, nackt, kraftvoll trotz des Einsinkens, die Bewegung ihrer Brüste, dann, als sie den feuchten, festen Sand erreicht hatte, geschmeidig, schnell.

    Dem Hobbygärtner gegenüber wohnte ein älteres Ehepaar. Die Frau arbeitete an der Kasse in einem Discounter mit vielen Billigangeboten, wo auch Eschenbach einkaufte. Der Mann, grauhaarig, mit einem Gesicht, das an Ernst Jünger denken ließ, war beim Katasteramt beschäftigt. Hin und wieder erzählte er Eschenbach von seiner Suche nach Hauseigentümern, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 enteignet worden waren und deren Immobilien auch jetzt noch im Besitz städtischer und staatlicher Behörden waren. Die anderen waren damals verkauft worden. Ehemalige Besitzer konnten daher keinen Anspruch mehr erheben. Aber bei den städtischen Grundstücken sei es noch möglich. Er habe es sich, sagte er, zur Aufgabe gemacht, nach solchen Fällen in den Akten zu suchen. Wie in dem Fall eines Hauses, dessen Bewohnerin, eine ältere Frau, sich das Leben genommen hatte, als sie aus dem Haus ausziehen musste. Das Wort Arisierung. Ein Versuch, ein wenig Gerechtigkeit zu üben, ohne Auftrag und nach Feierabend, betonte er. Ich suche die Verwandten in Amerika.
    Entschuldigen Sie, unterbrach er sich, ich sollte Sie nicht aufhalten.
    Ich habe Zeit, sagte Eschenbach.

    Ich bin reich geworden, dachte Eschenbach, ich habe Zeit, ich nehme mir die Zeit. Nichts treibt mich. Ich höre über das Düngen mit Pferdeäpfeln. Man schenkt mir Verse aus dem West-östlichen Divan . Ich hätte früher nicht sagen können, was ein Pfund Butter kostet. Jetzt vergleiche ich die Preise im Supermarkt.

    Manchmal traf er Selma in einem Café oder Restaurant. Es waren ruhige Gespräche, keine Vorwürfe. Sie fragte, was er mache, und er erzählte ihr von seiner Arbeit, dass er Manuskripte über ferne Länder und Städte lektoriere. Manchmal nahm sie seine Hand und fragte,

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