Vogelweide: Roman (German Edition)

Pensionskassen.
    Seine Enkelin sagte, ach Opi.
    Nein, sagte der Alte, nicht ach, nimm das ideologische Mäntelchen ab, und was du dann siehst, ist der Kannibalismus dieser Gesellschaft. Gut, die Leute werden nicht mehr in Kesseln gekocht oder auf den Rost gelegt, aber die Forderung zielt auf Auslöschung.
    Eschenbachs Mutter lachte und sagte, richtig so, zieh vom Leder.
    Später sagte Sabrina, Opi ist völlig durchgeknallt.

    Und dann war Sabrinas neuer Freund, der einen Parkplatz in den von Türken und Zuhältern zugestellten Straßen gesucht hatte, die Treppe heraufgefedert, er sah ihn von unten kommen, ein Mann im hellbraunen Anzug, das Haar zurückgekämmt, ein kommunikatives Strahlen, ein Gebiss, he, bei dem haben die Eltern aufs Zähneputzen geachtet, dachte er, haben einmal in der Woche dem Kind Kalziumtabletten gegeben. Das ist Helmut, sagte sie und sah dabei den Mann, der ihm die Hand quetschte, an, bewundernd, ja, sie hatte ihm die Blicke geschenkt, die sie ihm vor Eschenbach, dem Vater, glaubte schenken zu müssen, auf dass er sähe, dass sie glücklich war. Nur ihre Lippen blieben schmal.
    Entspann dich doch, hatte er gesagt.
    Natürlich war das gemein, und sie hatte dann auch in scharfem Ton gefragt, wie meinst du das?
    Nur so.
    Du bist wie der Opi.
    Ja, sagte er, der Apfel fällt nicht weit vom Pferd. Ich habe hier im Haus einen netten Schrebergärtner, der schenkt mir Karotten. Auf Pferdemist gezogen. Mögt ihr eine?
    Sabrina sah ihn an, als habe sie Anzeichen von Altersdemenz an ihm entdeckt.
    Helmut fand es lustig, lachte dröhnend. Helmut hatte eine Bassstimme, die weit durch das Haus drang, das zahnige Lachen, und war demonstrativ bemüht, die leere 50-Quadratmeter-Wohnung sehr nett zu finden. Hätte er wenigstens gesagt, der Sessel ist schön oder die von Selma geschenkte blaue Ming-Vase, deren Muster, ein Fehlbrand, zerlaufen war, aber nein, er sagte, nett haben Sie es hier. Eschenbach hätte ihm in den Hintern treten mögen, und seine Wut auf die Tochter stieg, die mit einem solchen Lackaffen durch die Gegend zog.
    Wo habt ihr euch kennengelernt?
    Internet.
    Partnerschaftsbörse, sagte Eschenbach, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

    Woher kommen all diese gutaussehenden, aber so schlichten Jungs, hatte er wenig später seinen englischen Freund gefragt, von denen ich ja auch viele in meiner Firma hatte. Rechnen können sie, reagieren blitzschnell auf fallende oder steigende Kurse, greifen ein, Verkauf, Ankauf, aber kaum machen sie den Mund auf, um den Gesang der Amsel zu beschreiben, kommt eine Plattheit heraus.
    Social climbing has exhausted them, sagte der Freund. But what made you think of blackbirds?
    Du weißt, die Amsel ist mein Lieblingsvogel. Das Glück, einmal erhört zu werden.
    Später hörte er von Sabrina, und das stimmte ihn wieder milde, dass dieser Helmut am Wochenende seine Mutter pflegte, die nicht mehr die Welt verstand.

    Eines der Beispiele, wie man Liebe und Begehren unterscheiden kann: Liebe kennt auch den Verzicht, das Begehren nicht. Das ist seine Stärke, es kann nicht verzichten. Es ist die unmoralische Kraft.
    Der Freund hatte nur hm, hm gebrummelt. Desire is a voyage under full sail to distant shores.
    Und die Liebe?
    Our anchor when tides are at the flood.
    Shakespeare?
    Ja. Leicht abgewandelt. Weißt du, dass heute der Tag der Tiefkühlkost ist?
    Gibt’s nicht.
    Doch. Hat Ronald Reagan 1984 eingeführt. Birds Eye Frosted Foods.
    Wie oft hatten sie gelacht. Eschenbach mochte das Lachen des Freundes, ein so williges, sich langsam steigerndes Lachen. Und nichts machte ihm den Tod des Freundes so deutlich wie das Fehlen dieses Lachens. Der Tod ist dumm. Er ist dumm, dachte Eschenbach, weil er das Lachen aus der Welt bringt.

    Und die Partnerschaftsbörsen im Internet?, hatte der Freund gefragt.
    Auch die hatte Eschenbach, nicht erst durch die Partnersuche seiner Tochter angeregt, mit seinen Daten gefüttert und Probanden befragt, die er sich selbst gesucht oder die man ihm empfohlen hatte.
    Wie diese Persönlichkeitsprofile per Algorithmus gefunden werden, das blieb ihm ein Rätsel, trotz allem, was da angegeben wurde, um dem idealen Partner zugeordnet werden zu können. Kilogramm Lebendgewicht. Lieblingsautoren. Komponisten. Musikstücke, allein das Wort Musikstück. Lieblingstiere. Haben Sie einen Hund? Eine Katze? Reiten Sie? Das sind die Fragen an die Gruppe vierzig plus. Welches Urlaubsland bevorzugst du? Die Du-Frage richtet sich an die Zwanziger