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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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lachen !«
    Sie hatte dieses letzte Wort herausgeschrien, und ein Soldat steckte den Kopf durch den Zelteingang, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Der König gab ihm ein Zeichen, und er zog sich wieder zurück.
    » Und in jedem Zyklus «, sagte er leise, » werden die Sakâs die Länder und ihre Könige, ihre Städte und ihre Söhne hinwegfegen, um dann in einer Welle von Flammen zurückzuströmen, denn so will es der Kreis des Lebens. Was aufsteigt, wird fallen, und die Zerstörung geht dem Neubeginn voraus. «
    Er hatte mit ruhiger, heiterer Stimme gesprochen. Non’iamas Beine zitterten heftig, vor Wut, Hass und Angst.
    »Ich habe in Reynes viel gelernt, Kleine«, sagte der König sanft. »Im Jahre 437 nach Ayona haben die Weisen beim Konzil von Baryna eine interessante Theorie aufgestellt, bevor sie als Häretiker gefoltert und getötet wurden: Sie behaupteten, dass Worte unsere Wirklichkeit weben, und nicht umgekehrt. Sie sagten, dass Vorhersagen genau so funktionieren: Sobald die Worte ausgesprochen sind, verbünden sich die Menschen mit dem gesamten Universum, um sie in die Tat umzusetzen … Das habe ich an der Universität gelernt«, fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu. »Mein Vater war zwar ungebildet, aber seine Philosophie unterschied sich gar nicht so sehr von der des Konzils. Er glaubte, dass man einfach beschließen muss, dass eine Prophezeiung Wirklichkeit wird. Man muss handeln.« Er lächelte. »Der Zyklus wird mit einem König geboren und stirbt mit ihm. So ist es schon immer gewesen. Als die Orakel verkündeten, dass
ich dieser König sein würde, hat mein Vater mich nach Reynes geschickt. Um den Feind besser kennenzulernen. Um zu handeln.«
    Non’iama fiel keine Antwort darauf ein, und der König der Sakâs schrieb weiter. Eine Weile verging, während er, Zeile um Zeile, beinahe zwei Seiten schrieb. Dann rollte er die Blätter zusammen und schob sie in ein kleines Röllchen, das er Non’iama reichte. »Das Ayesha-Volk marschiert auf Kinshara zu«, sagte er. »Meine Soldaten werden dich so lange wie möglich begleiten. Danach musst du dich allein durchschlagen. Finde Ayesha und gib ihr den Brief.«

KAPITEL 12
    »Da bewegt sich etwas im Gras«, sagte Arekh.
    Die drei Reiter hatten am Hang auf halber Höhe des Hügels haltgemacht. Arekh und Amîn ritten auf fuchsroten Pferden aus dem Emirat beiderseits von Lionor, die auf einer ruhigeren Stute saß. Das Kind war in einen Umhang eingewickelt vor den Bauch der jungen Frau gebunden.
    Hinter ihnen folgte die lange Reihe der Flüchtlinge, umringt von den Nâlas.
    »Im Gras?«, flüsterte Lionor. »Wo?«
    Die Welt ringsum war grün und grau. Die Sonne war vor zwei Stunden aufgegangen, aber ihre Strahlen ertranken in einem Universum aus feuchtem Nebel und Kälte. Kein Baum war in Sicht, nur ein Meer von abgerundeten Hügeln, die dicht mit langen, biegsamen Gräsern von blaugrüner Farbe bewachsen waren. Gras, so weit das Auge reichte. Gras, auf dem der silbrige Nebel einen perlmuttfarbenen Raureifschimmer hinterließ. Der Weg, dem sie folgten, war hier die einzige Spur menschlichen Lebens.
    Amîn schloss lauschend die Augen. Dann öffnete er sie wieder und suchte die gespenstische Landschaft ab. »Ich sehe nichts«, sagte er schließlich.

    Stille senkte sich herab. Hinter ihnen waren die Flüchtlinge ebenfalls stehen geblieben. Die Nâlas waren auf der Hut.
    Wind kam auf, ließ die Spitzen der Grashalme wie die Oberfläche eines Sees erzittern, und legte sich wieder.
    Lionor erschauderte. Unmöglich zu sagen, ob vor Furcht oder vor Kälte.
    Arekh lauschte noch immer.
    »Bei allem Respekt, Aida«, sagte Amîn mit gesenkter Stimme. »Ich glaube, Ihr täuscht Euch.«
    Arekh reichte Amîn die Zügel und stieg vom Pferd. »Ich täusche mich nicht.« Er drehte sich zu Lionor um. »Reitet zurück. Ins Innere der Gruppe«, sagte er und deutete auf die Flüchtlinge.
    »Ich …«
    »Sofort.«
    Lionor warf ihm einen bösen Blick zu, wendete aber ihr Pferd. Nach kurzem Nachdenken bedeutete Amîn dreien seiner Reiter, sich an die Spitze des Zuges zu setzen.
    Arekh trat mit gezogenem Schwert einen Schritt ins hohe Gras. Dann noch einen. Die Stille war so tief, das Gras so hoch … Er hatte den Eindruck, in ein tiefes, dunkles Meer einzudringen, in dem bleiche Geschöpfe schwammen, die sich jeden Augenblick auf ihn stürzen konnten, um ihn zu verschlingen … Er schritt durch eine Savanne, in der ihm lautlos Raubkatzen entgegenschlichen …
    Er machte noch

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