Volk der Verbannten
Grausamkeit, nur Vernunft. Es …«
»Lasst ihn mir!«, schrie Lionor, und Arekh legte ihr das Kind in die Arme.
Das Kind atmete noch, doch es war ein keuchender,
schwacher Atem. Arekh wandte sich Day-Yan zu. »Er muss sofort verarztet werden«, begann er, aber der Krieger stieg bereits aufs Pferd. »Wir müssen seine Wunde verbinden und ihm …«
»Wir brechen sofort auf«, sagte Day-Yan. »Behaltet das Kind, wenn Ihr wollt, aber das ist ein Fehler. Ihr werdet nur mit ansehen, wie es stirbt.« Er gab ein Zeichen, und ein Reiter fasste Lionor um die Taille und zog sie gewaltsam in den Sattel, während sie noch immer das Kind an sich presste, dessen Blut sich auf ihren Kleidern mit ihrem vermischte. »Ich will diese Sache so schnell wie möglich klären.«
»Der Kleine wird nicht überleben, wenn …«
»Aufsitzen!«, befahl Day-Yan, und zwei Klingen legten sich an Arekhs Hals. »Noch ein Wort, und ich töte die Frau und das Kind«, fuhr Day-Yan fort und deutete auf Lionor. »Steigt auf.«
Arekh gehorchte.
Die Reise schien ewig zu dauern, und sie machten erst kurz vor Sonnenaufgang in einem kleinen Tal halt, das von etwa zwanzig Feuern erhellt wurde. Ihre Hoffnung, Marikani dort vorzufinden, wurde sofort enttäuscht. Ein Blick genügte Arekh, um festzustellen, dass es sich nur um ein Nebenlager handelte. Ayesha, die Flüchtlinge und ein Großteil der Krieger hielten sich, wie Day-Yan erklärte, in der Zitadelle von Haros an der Ostgrenze von Kiranya auf.
Die Männer im Lager waren erschöpft und schlecht gelaunt. Sie hatten innerhalb von zwei Wochen Kiranya fast auf ganzer Breite in Gewaltmärschen durchquert. Aber nun schien es beschlossene Sache zu sein, dass mehrere
Tage in der Zitadelle haltgemacht werden würde, und Arekh hörte mehrfach die Wörter »Versorgung« und »Verbannte«.
Man stieß Lionor und Arekh an ein Feuer und ließ sie dort zurück. Sofort begann Lionor ihren Umhang in Streifen zu reißen, um zu versuchen, die Wunde des Kleinen zu verbinden. Ihre Hände zitterten.
»Er wird sterben, Arekh, er hört nicht auf zu bluten. Ich schaffe es nicht, die Blutung zu stillen. Ich schaffe es nicht …«
Ihr versagte die Stimme, und sie begann zu schluchzen, während sie unbeholfen versuchte, die Verbände fester zu ziehen. Das Kind zitterte und wimmerte. Arekh stand auf und versuchte, sich zu beherrschen. Er eilte auf den erstbesten Mann zu, packte ihn an der Schulter und hielt ihn auf. Die Krieger aus Day-Yans Gefolge, die einige Schritte entfernt heiße Suppe tranken, sahen gleichgültig zu.
»Ein Kind liegt im Sterben. Wir brauchen Wasser und Mahhm, um die Blutung zu stillen.«
Der Mann, der Reisig trug, warf einen Blick auf Mutter und Kind und trat näher heran. Er bückte sich, musterte das Kind und die tränenüberströmte Mutter und richtete sich dann wieder auf.
Sein Blick war bekümmert, als er sich zu Arekh umdrehte. »Es tut mir sehr leid«, sagte er mitfühlend. »Das Mahhm ist den Kriegern vorbehalten. Wir haben nur wenig, daher sind die Befehle drastisch.«
»Aber er wird sterben!«, schrie Lionor und sprang auf.
»In der Tat«, sagte der Mann und wandte den Blick ab, um die Gefühlsregung in seinen Augen zu verbergen. »Hört zu, ich verstehe das. Meine kleine Schwester ist im Wald auf dem großen Marsch gestorben, und meine
Gefährtin hat ihr Kind verloren. Ich … Es tut mir wirklich sehr leid, aber der Kleine hier ist dem Tode nah, es wäre Verschwendung. Und außerdem sind die Befehle eindeutig, wie ich schon sagte. Man würde mir nie gestatten, Mahhm an Gefangene auszuteilen …«
Arekh packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn; seine Hände zitterten vor Wut. »Das ist keine Gefangene, Dummkopf! Das ist Ayeshas Gefährtin! Wenn sie hier wäre, würde sie Euch mit eigener Hand erwürgen, weil Ihr nicht geholfen habt …«
Einer der Krieger aus Day-Yans Gefolge näherte sich mit einer Schale Suppe in der Hand. Der Mann mit dem Reisig wandte sich an ihn. »Er sagt, dass die Frau da Ayeshas Gefährtin ist.«
»Aber ja doch, und ich bin ihr heimlicher Sohn!«, brummte der Krieger. »Sie hat mich gekriegt, nachdem sie es im Gebüsch mit Arrethas getrieben hatte!«
Arekh hob die Faust, um ihn zu schlagen, und ließ sie wieder sinken. Wenn er jetzt die Beherrschung verlor, waren sie alle drei verloren. »Fragt Ayesha«, knurrte er; seine Stimme bebte vor Hass. »Geht hin und fragt sie! Fragt sie, bevor dieses Kind stirbt …«
»Wir gehen ja gleich«, sagte der
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