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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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kopfschüttelnd. »Keine Waffen, keinen Walnusssaft, nichts … Ich hätte mich allein nach Osten durchschlagen können, wenn ich all mein Geld dafür bezahlt hätte, aber ich habe mich entschlossen zurückzukommen. Ich konnte … ich konnte euch hier nicht einfach im Stich lassen.«
    »Kein Essen?«, fragte Afa mit durchdringender Stimme.
    Der scharfe Beiklang ihres Tons schien die anderen aus ihrer Erstarrung zu lösen, und sie zuckten zusammen, bevor sie langsam zur Tür hinübergingen.
    »Nein«, sagte Manros. »Kein Essen. Es kommt nichts mehr von jenseits der Berge und …«
    »Kein Essen!«, wiederholte Afa und stürzte sich plötzlich mit einem schrillen Schrei auf Manros. Sie warf ihn in den Staub der Höhle, die hinter dem Keller lag, und die anderen sahen, wie sie mit der rechten Hand seinen Gürtel abtastete, seinen Dolch fand, ihn über die Kehle ihres ehemaligen Herrn hielt und zustieß, ein Mal, zwei Mal, drei Mal …
    »Afa!«, schrie Sî, lief aus dem Keller und versuchte sie aufzuhalten, aber das Blut war bereits über die Steine geströmt. Bû eilte seinem Bruder zu Hilfe, Berus ebenfalls,
aber als sie ankamen, stand Afa schon wieder auf, den blutigen Dolch in der Hand.
    Non’iama verfolgte das Schauspiel einen Moment lang wie erstarrt; dann spürte sie, wie Miu ihre Hand ergriff und sie vorwärtszog, in die Höhlen und Tunnel, in das Labyrinth, das sich unter den Bergen verlor.
    »Komm«, sagte Miu, bevor sie zu laufen begann und Non’iama mit in den nächstbesten Felsengang zerrte. Als Non’iama einen Blick zurückwarf, sah sie als Letztes Afa, die mit glänzender Klinge und Wahnsinn in den Augen hasserfüllt auf Berus eindrang.
     
    Non’iama sah sie nie wieder - weder Afa noch Berus noch die anderen. Miu ihrerseits überlebte die drei Tage nicht, die sie in den Tunneln verbrachten, bevor sie endlich einen Schacht entdeckten, der an die Oberfläche führte. Sie starb nicht an einer Verletzung und verhungerte auch nicht, sondern erlag einer alten Krankheit, die ihr seit Jahren die Brust zerfraß, wie sie Non’iama erklärte, als sie am Ende neben einem Felsbrocken zusammenbrach, hinter dem der Gang nur einige Meter entfernt an die frische Luft führte. Sie drückte Non’iamas Hand und lehnte es ab, aus dem Weinschlauch zu trinken, den sie zusammen mit einigem Proviant in einem Sack gefunden hatten, der neben einem Leichnam tief im Berg gelegen hatte.
    »Behalt den Wein«, sagte sie hustend. »Und mach dir keine Gedanken um mich. Ich hätte ohnehin nicht damit gerechnet, noch so lange durchzuhalten. Ich dachte, ich würde gar nicht aus dem Keller herauskommen.«
    Non’iama wachte trotz allem noch eine Nacht bei ihr, zwang sie zu essen und zu trinken.
    »Eines darfst du niemals vergessen«, sagte Miu bei
Sonnenaufgang. »Es ist unwichtig, ob dieser Mann … Arekh … bei der Felsnadel ist, wenn du dort ankommst. Du kannst dich auch allein durchschlagen. Es liegt nicht … nicht an den Ketten …« Sie hustete erneut. »Da sitzt sie«, fuhr sie fort und berührte Non’iamas Stirn. »Die Freiheit. Da. Wie in dem Lied.« Sie lächelte. »Weißt du, man erzählt sich, dass das Türkisvolk von jenseits des Ozeans kommt. Dass dort, im Nordosten, im Eis, das Land liegt, aus dem wir stammen. Dass es uns ruft … Hörst du es?«
    Sie starb noch am Morgen. Non’iama nahm den Sack mit den Vorräten und brach auf. Sie verließ die Tunnel, richtete sich nach dem Sonnenstand und fand nach einem Tag des Umherirrens endlich die Oststraße und die Felsnadel, von der Arekh gesprochen hatte.
    Arekh war nicht da.
    Non’iama wartete zwei Tage auf ihn, aß langsam den Proviant auf und versteckte sich, wann immer sie Pferde oder Soldaten hörte.
    Arekh kam noch immer nicht.
    Als schließlich ein neuer Morgen dämmerte, warf sie sich den Sack wieder über die Schulter und brach nach Nordosten auf.

KAPITEL 2
    Der Morgen dämmerte. Im goldenen Licht stieg ein Geruch nach feuchter Erde und Rinde vom Boden auf. Marikani schritt mit beklommenem Herzen zwischen den Zelten hindurch, schätzte die Anzahl der Schlafenden, zählte die Körper, die noch schlummernd um die erloschenen Feuerstellen lagen. Und dies war nur das erste Lager. Es gab noch ein zweites, weiter unten, jenseits der Barriere, die die Felsen bildeten. Dort waren weitere zwei- oder dreihundert Leute. Hier, im Hauptlager, befanden sich mindestens fünfhundert Männer, Frauen und Kinder.
    Alle waren sie Ayhâssi . Das Wort bedeutete »die Wilden«. Die

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