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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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war nun tiefgolden, aber die Farbe war trügerisch. Die Luft war eisig. Feuer wurden entzündet und beleuchteten hellhäutige Gestalten. So blass , dachte Marikani und zitterte für sie - sie selbst fror nicht. Ein schwerer Pelzmantel lag schützend um ihre Schultern.
    Rings um sie waren die Männer in der Überzahl, vor allem junge zwischen zwanzig und dreißig Jahren. Sie waren diejenigen, die am besten zu überleben verstanden, und sie waren auch als Erste zu ihr gestoßen, nachdem sie von Arekh und Non’iama getrennt worden war. In dem Chaos, das auf die Zerstörung der Rune der Knechtschaft gefolgt war, war Marikani mit den befreiten Sklaven von Nôm zwischen die Felsen geflüchtet. Je weiter sie nach Osten in den Schutz der Berge vorgedrungen waren, desto größer war die Gruppe geworden; immer mehr Flüchtlinge vom Türkisvolk, die vor dem Wahn der Freien, die sich von ihren Göttern verraten glaubten, geflohen waren, waren zu ihnen gestoßen. Zunächst waren sie nur achtzig gewesen, da es in Nôm viele Tote
gegeben hatte, aber bald hundert, dann zweihundert, und das Gerücht hatte sich immer weiter verbreitet, die Nachricht von der Göttin Ayesha, die ihr Volk zu einem langen Marsch zusammenrief, der es in gesegnete Landstriche führen sollte. Wie Bäche, die einem Fluss zuströmten, waren immer mehr Leute erschienen und hatten ihre Flucht zu einer Völkerwanderung werden lassen …
    Männer, ja, aber nicht nur Männer: Auch Frauen und Kinder waren dabei, so blass, so zerbrechlich. Verwundete, Krüppel, verstörte kleine Jungen, die mit angesehen hatten, wie ihre Eltern ermordet worden waren, Kolosse mit leerem Blick, die fünfundzwanzig Jahre ihres Lebens an eine Mühle gekettet verbracht hatten und nicht einmal mehr sprechen konnten. All diese Blicke, all diese Körper, die so verhärmt, schmutzig und schmerzbeladen waren, all die brüchigen Stimmen, all die Leute, die ihre Hoffnung auf sie setzten …
    »Sie haben Hunger, Ayesha«, wiederholte Halian.
    »Ich heiße nicht Ayesha«, antwortete Marikani knapp. »Mein Name ist Marikani.«
    Halian nickte, ohne zu antworten, und starrte sie nur weiter an. Marikani seufzte. Es hatte keinen Zweck. Halian war vor vier Wochen zu ihr gestoßen, an der Spitze eines kleinen Trupps von fünfzehn Männern, allesamt blond und hellhäutig mit blauen Augen, bei bester Gesundheit und gut bewaffnet. Nach eigenen Angaben hatten sie zur Leibwache eines Adligen gehört und am Tag des Großen Opfers fliehen können, nachdem sie »im Herrenhaus ein bisschen Kleinkram hatten mitgehen lassen«, wie sie es ausgedrückt hatten. In der Tat trug Halian ein seidenes Wams, auf dem das Wappen eines sarsischen Adligen prangte, und ein schönes Schwert, dessen Griff mit Bernstein
verziert war. Marikani hatte sie nicht gefragt, was sie mit dem Adligen, seiner Frau und seinen freien Dienern angestellt hatten oder wie sie überlebt hatten, bevor sie zu ihr gestoßen waren. Sie hatten Brot, Bierschläuche, kostbare Kleinodien und Frauenschmuck im Gepäck gehabt. Und anders als die Übrigen waren sie bei ihrer Ankunft nicht hungrig gewesen.
    Mittlerweile waren sie es.
    Und dennoch hatte Halian sie trotz allen Leids und allen Hungers nie anders genannt als »Ayesha«, und manchmal hatte er einen Blick, den Marikani hasste: diesen Blick völliger Unterwerfung und Anbetung. Ihr wurde ganz schlecht davon.
    »Ja. Ja, sie haben Hunger«, sagte sie und erschauerte. »Ich weiß.« Mattigkeit überkam sie, und sie drehte sich mit Tränen in den Augen zu ihm um. »Was soll ich denn tun?«, flüsterte sie am Rande der Hysterie. »Ich bin in Diplomatie und Politik ausgebildet worden. Ich bin keine Kriegsherrin! Ich bin noch nicht einmal ein Soldat … All diese Leute!«, murmelte sie. »Wie soll ich sie Eurer Meinung nach ernähren?«
    »Ihr seid Ayesha«, sagte Halian.
    Marikani sah ihn an und war nahe daran, ihn zu schlagen; dann brach sie in nervöses Gelächter aus. Immer noch lachend ließ sie sich zu Boden fallen und blieb auf einem Sack sitzen; ein Kind neben ihr warf sich mit einem erstaunten Ausruf beiseite. Es starrte sie mit großen Augen an.
    »Richtig, ich bin Ayesha. Und Ayesha wird Nahrung für achthundert Menschen auftreiben. Das tut sie jeden Morgen, noch in der Dämmerung, bevor sie heiße Schokolade trinkt …«

    Halian nickte, ohne ihren Sarkasmus zu verstehen. »Ja. Ayesha wirkt Wunder«, sagte er mit zitternder Stimme.
    Marikani musste an sich halten, um ihn nicht zu erwürgen. Ihr

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