Volk der Verbannten
Meuchelmörder standen in ebenso gutem Ruf wie ihre militärische Schlagkraft.
Der zweite Trupp, der aus den vierzig anderen Soldaten bestand, war ein wenig auf Abstand geblieben. Sie würden geschlossen angreifen, wenn Amîn das Signal gab.
Von dort, wo er sich befand, konnte Arekh den Pass nicht sehen. Aber der Pass spielte auch keine große Rolle. Wenn er Marikani glauben konnte, würde der König der Sakâs nicht zur Delegation gehören.
Er würde sich irgendwo anders aufhalten, um das Schauspiel zu beobachten, und Arekh glaubte zu wissen, wo. Ein wenig weiter oben lag ein von weißen Steinen eingerahmter Felsengang, der sich perfekt als Beobachtungsposten eignete. Wenn Marikani recht hatte und der König alles in Augenschein nehmen wollte, würde er sicher dort Stellung beziehen. Wahrscheinlich war er sogar längst dort drüben.
Arekh schlich ein paar Schritte vorwärts. Nichts, keine Bewegung hinter den Steinen, die er im Auge behielt. Das musste nichts bedeuten. Der König und sein Gefolge würden sich unauffällig verhalten.
Auf ein weiteres Zeichen hin kam Amîn zu ihm. Arekh deutete auf die Felsen. »Wir sollten …«
Ein kleiner Stein rollte den Abhang hinab und landete vor Arekhs Füßen.
Jemand ging genau über ihnen entlang.
Die Gebäude, aus denen die Sakâs hervorgeströmt waren, waren nur noch Massengräber. Die ersten Soldaten, die sich tapfer in die Keller gestürzt hatten, um den Feind aufzuhalten, waren von den Barbaren, die in der Überzahl gewesen waren, niedergemetzelt worden. Dann waren andere dazugestoßen, Sakâs wie Soldaten, und der Kampf hatte sich Stufe um Stufe, Zimmer um Zimmer,
in jedem Korridor, jedem Hauseingang und jedem Wirtschaftstrakt abgespielt. Die Kämpfer hatten sich in Empfangszimmern, auf Höfen und in Küchen gegenseitig erschlagen und waren am Ende buchstäblich über Leichen gegangen.
Aber die Sakâs waren durchgekommen. Hunderte von ihnen. Vashni hatte sie vom Fenster des Zimmers aus gesehen, in dem sie sich verbarrikadiert hatten: sie, das kleine Mädchen und ein Soldat aus Reynes, der dem Gemetzel entkommen war und ihnen geholfen hatte, sich in dem Raum zu verschanzen.
Draußen erklangen Schreie. Das Haus gegenüber brannte. Beißender, schwarzer Rauch stieg daraus auf.
Genau unter dem Fenster metzelten die Sakâs die Männer nieder, die versucht hatten, sie aufzuhalten. Das Blut floss in Strömen, und als das Mädchen ans Fenster treten wollte, um besser sehen zu können, hinderte Vashni die Kleine daran.
»Schau nicht hin«, sagte sie, nahm sie dann in die Arme und setzte sich mit ihr aufs Bett am Ende des Zimmers. »Das geht vorbei«, flüsterte sie, als sie spürte, wie das Kind in ihren Armen zitterte. »Alles geht vorbei. Du wirst schon sehen.«
Sie waren dort oben, über ihnen. Arekh gab Amîn ein Zeichen, und mit äußerster Vorsicht wichen sie zurück, um sich hinter einem Felsvorsprung zu verstecken.
»Wenn der König da oben ist, müssen wir das Signal geben«, flüsterte Amîn.
Arekh nickte. »Ich muss mich selbst überzeugen. Wenn sie es sind, rufe ich Euren Namen. Schießt den Pfeil ab und kommt mir dann zu Hilfe.«
Mit einem letzten Nicken zu Amîn kletterte Arekh vorsichtig den Abhang hinauf und hielt sich dabei links, so dass er sich hinter den Felsen über ihnen verbergen konnte.
Schließlich sah er sie.
Es waren etwa dreißig Mann, die auf einer Felsplattform ein paar Schritte unter ihm in Position gegangen waren. Lange, schwarze Haare, Kettenhemden …
Er robbte noch weiter vorwärts. Näher, noch näher.
Sakâs.
Er hatte keine Zeit zu verlieren. Marikani wartete auf sein Signal zum Angriff, und jede verlorene Sekunde bedeutete weitere unnötige Todesopfer am Fuß der Mauern.
Plötzlich packte ihn rasende Wut. Den ganzen Morgen über war er kalt und ruhig geblieben, hatte den Hinterhalt gelegt, gewusst, dass nichts sicher war, dass der König sich vielleicht nicht zeigen würde.
Aber jetzt …
Der Mann, der für all diese Massaker verantwortlich war, der Mann, dessen Horden die westlichen Lande vernichtet hatten, der Mann, der zerstören würde, was noch von den Königreichen übrig war, wenn man ihm freie Hand ließ, war vielleicht nur einige Schritte entfernt.
Nein, er hatte keine Zeit zu verlieren.
»Amîn!«, schrie Arekh, und mit einem Sprung stürzte er sich auf die Felsplattform.
Ein brennender Pfeil stieg seitlich des Passes beim Roten Felsen auf. Marikani wandte sich Day-Yan zu. »Entzündet das
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