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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Wänden. Die Kette, die mit dem Eisenring um sein rechtes Handgelenk verbunden war, war am
Boden festgeschraubt und so lang, dass er sich bewegen konnte.
    Arekh hatte den schwarzen Stein abgetastet und nach Hinweisen gesucht.
    Wo befand er sich? Das Letzte, woran er sich erinnerte, war die raue, rote Umgebung von Nôm in der Morgensonne … Staub unter seinen Füßen, der Geruch verbrannter Erde, der warmen Landstrichen selbst nach kühlen Nächten noch anzuhaften schien. Er hielt ein Schwert in der Hand und schlug zu, versuchte, Non’iama zu beschützen, die in Richtung der Hochebenen davonlief. Um ihn herum rannten flüchtende Sklaven überallhin, verfolgt von Wachen. Marikani war drei Stunden zuvor mit einem ersten Trupp Sklaven verschwunden, und Arekh wusste nicht, ob sie tot oder am Leben war. Er erinnerte sich nur an ihren verblüfften Gesichtsausdruck, als der türkisfarbene Stern über ihr explodiert war.
    Und jetzt war er gefangen. Wo? Er erinnerte sich noch nicht einmal mehr daran, niedergeschlagen worden zu sein, aber manchmal gingen nach einem Schock die Erinnerungen, die mit einer Verletzung zu tun hatten, verloren - er erinnerte sich an einen Soldaten der kiranyischen Armee, der während einer Schlacht von einem sechsspännigen Streitwagen überrollt worden war. Der Mann hatte überlebt, aber er hatte sich an nichts erinnert, was in den drei Tagen vor der Schlacht geschehen war - und noch nicht einmal daran, an dieser Schlacht überhaupt teilgenommen zu haben.
    Die Soldaten, die Arekh angegriffen hatten, hatten aus Raos westlich von Nôm gestammt … Er war sicher dorthin verschleppt worden oder vielleicht sogar nach Steinstadt, einer großen Grenzstadt, die etwas weiter südlich
lag. Warum hielt man ihn gefangen? Warum war er nicht einfach mit allen anderen getötet worden?
    Ja. Er musste in Steinstadt sein. Kerker dieser Größe konnte es nur in einer Stadt geben, die eine gewisse Bedeutung hatte. Das war die einzig logische Erklärung. Er war sicher gestern, am Tag nach dem Großen Opfer, ohnmächtig geworden und am Morgen bewusstlos hierhergebracht worden.
    Doch er spürte und wusste , dass das nicht wahr war. Der Eindruck war diffus und unangenehm, umso mehr, weil er sich die Gründe dafür nicht erklären konnte. Zum einen war da seine Wunde. Arekh war kein Arzt, aber in einigen Kriegen hatte er durchaus etwas gelernt, und beim Anblick seines Schenkels und seines Arms hatte er den Eindruck gehabt, dass die Wunden bereits begonnen hatten, sich zu schließen, und das nicht zum ersten Mal. Sie waren nur aufgrund mangelnder Pflege wieder aufgebrochen.
    Mehrfach.
    Und dann diese Albträume! Und sein Verstand, der noch immer so benebelt war, dass er zunächst geglaubt hatte, er hätte getrunken. Aber er hatte nicht getrunken, zumindest nicht bewusst. Man hatte ihn sicher unter Drogen gesetzt. Das erklärte die völlige Abwesenheit von Erinnerungen an die Reise von den Hochebenen nach …
    Schritte auf dem Gang. Das Geräusch der Schlüssel.
    Diesmal waren es drei Männer. Die Fackel auf dem Korridor war fast heruntergebrannt, aber Arekh konnte die Anzahl der Stiefel auf den Steinen zählen. Der Schlüssel drehte sich im von der jahrelangen Feuchtigkeit rostigen Schloss, und Arekh hob den Kopf.
    Ja, drei Männer. Dunkel gekleidet. Das ersterbende
Licht der Fackel ließ etwas auf ihren Gewändern aufleuchten, und Arekh spürte, wie sich ihm das Herz verkrampfte, ohne zu wissen, warum.
    »Arekh es Morales, Sohn des Joanki es Morales und seiner Frau Loïse, Herr über Miras und die zugehörigen Ländereien …«
    Wie zuvor beschränkte sich Arekh darauf, den Mann anzusehen, der sprach, und antwortete nicht.
    »Ihr seid von den Fürstentümern von Reynes wegen Vatermordes, Verrats und weiterer Morde verurteilt worden …«
    Arekh spürte, wie er blass wurde und sein Gesicht vor Verblüffung erstarrte. Zugleich bestätigte eine Bewegung der Fackel die scheußliche Wahrheit. Silber funkelte auf den schwarzen Uniformen.
    Reynes. Sie hatten ihn gefangen genommen und nach Reynes zurückgebracht.
     
    Der Schock machte ihn beinahe unempfindlich gegen die Schmerzen seines gemarterten Schenkels, als sie ihn aus der Zelle führten, ihn in einen Felsengang stießen und drei Stufen hinaufsteigen ließen; dann blieben sie stehen, um noch eine Tür aufzuschließen, die in weitere Tunnel führte, die kaum breiter und heller waren als der erste. Reynes. Das ist nicht möglich , dachte er immer wieder, trotz aller

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