Volk der Verbannten
kleines Auflachen unterdrücken zu können.
Der Seelenleser straffte verärgert die Schultern. »Ayesha ist nicht menschlich. Sie ist die Macht der Abgründe, die das Chaos hervorbringt. Sie ist in die Königreiche gekommen, um Feuer und Zerstörung zu verbreiten.«
»Ihr scherzt.« Doch ein Blick auf den Seelenleser überzeugte Arekh vom Gegenteil.
»Sie lässt den Himmel einstürzen!«
»Die Tochter des Gottes, dessen Namen man nicht nennt?«, seufzte Arekh. »Das wird ihr nicht gefallen.«
Lionor lächelte leicht, und Arekh freute sich darüber.
»Habt Ihr mit ihr geschlafen?«, fragte der Seelenleser plötzlich. »Habt Ihr Euer Fleisch ins unsterbliche, verfluchte Fleisch der Demeana gesenkt?«
Arekh starrte ihn verblüfft mit offenem Mund an. »Nein«, sagte er schließlich.
Diesmal lachte der Seelenleser. »Gut«, sagte er mit Nachdruck. »Dann besteht vielleicht noch Hoffnung. Um-Akr sieht durch meine Augen, Um-Akr hört mit meinen Sinnen, und so frage ich Euch heute: Arekh es Morales, seid Ihr bereit, vor dem Gott zu bestätigen, dass die Demeana böse und wahnsinnig ist? Seid Ihr bereit, Euch von ihrem Einfluss und ihrer Stimme loszusagen, Euch hier, vor Um-Akr, zu erheben, um Euren Fehler
laut herauszuschreien? Seid Ihr bereit, dem Namen der Ayesha abzuschwören und die Gnade des Gottes zu erflehen, auf dass er Euch verzeihen möge?«
»Ihr könnt mich mal«, antwortete Arekh.
Er bereute seine Antwort bald. In der Folterkammer, in die der Seelenleser ihn mit einem Wink befördern ließ, hatte Arekh Zeit zum Nachdenken, während die Henker ihm die Hände über dem Kopf fesselten und ihm die Beine in der Bußhaltung der Häretiker spreizten. Er hätte besser daran getan, alles zu schwören, was sie verlangten. Es wäre noch nicht einmal ein Meineid gewesen, denn was machte es schon, jener »Demeana« abzuschwören, die sie erfunden hatten? Als sie den Eimer mit eisigem Wasser und die Peitsche herbeitrugen, war Arekh nahe daran, die Abschwörformel zu sprechen, aber ein seltsamer Stolz - Oder eine Torheit, die Marikanis würdig wäre! , dachte er - hielt ihn davon ab. Jetzt sofort nachzugeben, vor dem ersten Schlag, hätte feige gewirkt, und er konnte sich nicht dazu entschließen. Und seltsamerweise ließ ihn dieser Widerstand gegen irgendetwas, diese Loyalität, deren Prinzipien er nicht begriff, stundenlang durchhalten, während der Riemen aus Leder und Metall auf seine Haut niederfuhr und die Henker seine Verletzungen mit Eiswasser übergossen, um wieder von vorn zu beginnen … Diese seltsame Torheit, die ihn daran hinderte, dem Namen der Demeana abzuschwören, verschwand nicht, und er schrie, brüllte, um seinen Kopf leer zu halten, um sich am Nachdenken zu hindern und nicht aufzugeben. Bald spürte er nur noch Schmerz: Stein, Wasser, Kälte und Qual vermengten sich zu einem Strudel, in dem nichts mehr Sinn ergab.
Und das ist erst der Anfang , dachte er noch, bevor er das Bewusstsein verlor, als die Peitsche seinen verletzten Schenkel traf. Nur der erste Tag.
Sie warfen ihn in der folgenden Nacht in eine neue, größere Zelle. Als die Wachen ihn hineinstießen, fand er Lionor vor, die im Schneidersitz auf dem Boden saß, die Tür anstarrte und ihr Kind stillte.
Das Gesicht der jungen Frau wies neue Wunden auf, aber ihre Züge waren noch zu erkennen. Arekh brach neben ihr zusammen und blieb ausgestreckt liegen; er konnte sich nicht bewegen und brachte kein Wort heraus. Aber er kam nicht umhin, nachzudenken. Warum beschränkten sie sich, wenn Lionor als Gefährtin der »Demeana« galt, auf den ersten Grad der Folter? Bestimmt, weil sie Lionor noch brauchten. Und wenn sie sie brauchen , dachte Arekh mit seltsamer Freude, dann sicher, weil Marikani noch am Leben ist. Sie war irgendwo, frei, um »Feuer und Zerstörung« in den Königreichen zu verbreiten.
Die Seelenleser hatten sie nicht gefangen nehmen können, aber irgendjemanden wollten sie der Menge präsentieren, die von den Vorgängen in Angst und Schrecken versetzt wurde. Wenn sie schon die Demeana selbst nicht hatten, dann hatten sie wenigstens ihre Handlangerin! Schaut nur, seht euch das Gesicht dieser Frau an, die vom fürchterlichen Licht der Abgründe entstellt ist! Seht zu, wie wir ihr das Böse aus der Seele reißen!
»Sie nennen Euch ihren ›Gatten‹«, sagte Lionor mit rauer Stimme.
Sie hielt den Blick auf das Kind gerichtet, das sie stillte. Arekh fragte sich, wie viel Zeit wohl vergehen würde,
bis Schmerzen und
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