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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Hinweise, trotz der schwarz-silbernen Uniformen der Wachen, die ihm so vertraut waren, so fürchterlich vertraut. Er konnte doch keine achthundert Meilen gereist sein, ohne es mitzubekommen, er konnte nicht bewusstlos die Königreiche durchquert haben, um in die Verliese des einzigen Ortes geworfen zu werden, den er in seinem ganzen Leben nicht wieder aufsuchen
konnte und wollte , eines Ortes, dessen Name ihm den kalten Schweiß auf die Stirn trieb. Nein, das war nicht möglich, er war in Steinstadt oder im schlimmsten Fall in einer der Freien Städte, nicht in den labyrinthartigen, uralten Gefängnissen, die sich unter dem Ratsgebäude und den Prachtgärten von Reynes, der größten Stadt der Königreiche, erstreckten … Nach der nächsten Biegung würden sie sicher eine Treppe hinaufsteigen und sich auf einem Hof an der frischen Luft wiederfinden. Weder Steinstadt noch die Freien Städte hatten Gefängnisse, in denen es möglich war, zwanzig Minuten lang geradeaus zu gehen, ohne je das Tageslicht zu sehen. Doch trotz der fürchterlichen Gewissheit, die auf ihm lastete und mit jedem Schritt drückender wurde, hoffte Arekh noch.
    Sie hätten ihn doch wohl nicht durchs ganze Land bringen können, ohne dass er auch nur einen Erinnerungsfetzen, einen Funken von Bewusstsein gehabt hätte …
    Eine Tür öffnete sich. Arekh wurde vorwärtsgestoßen.
    Sein Herz setzte kurz aus.
    Das Zimmer war direkt in den Felsen gehauen. Den schwarzen Felsen im Untergrund der Fürstentümer, den Arekh so gut kannte, weil er oft durch die hineingegrabenen Gänge gestreift war, um Archive zu durchsuchen, Sekretäre und Spione zu bestechen, von denen es in den unteren Stockwerken des Ratsgebäudes nur so wimmelte. Es gab keine Öffnung, kein Fenster, nur den schwarzen Fels und die Feuchtigkeit, die auch hier durch den Stein drang. Eine von Menschenhand geschaffene Grotte … eine Höhle, die so groß war, dass Schritte darin widerhallten und dass Arekh die Gesichter der Wachen, die am anderen Ende standen, nicht genau erkennen konnte,
eine Höhle, in deren dunklen Stein als Basrelief das Siegel von Reynes gehauen war.
    In der Mitte des Raums befand sich ein Tisch, der ebenfalls aus dem Stein herausgehauen war; an seinem Kopfende saß auf einem hölzernen Schemel eine Frau mit verhärmtem Gesicht und Ketten an den Füßen. Lionor.
    Sie hielt einen winzigen Säugling in den Armen.
    Arekh eilte zu dem Tisch hinüber; jeder Schritt besiegelte sein Schicksal noch stärker. Ein Mann in Grau und Silber stand dort und sah lächelnd zu, wie Arekh näher kam. Er bedeutete Arekh, sich auf einen hölzernen Schemel gegenüber von Lionor zu setzen.
    Die Wachen traten zurück, um sich an der Tür zu postieren, durch die sie gekommen waren.
    Zu dritt blieben Arekh, Lionor und der Mann in der Mitte der gewaltigen Höhle allein.
    Lionor und Arekh saßen in Ketten beiderseits des Tisches; der Mann in Grau stand daneben.
    »Willkommen, Eleni Morales«, sagte der Mann; er lächelte noch immer. »Wir dachten schon, wir würden Euch verlieren. Ich bin froh, dass Ihr Eure Verletzungen überlebt habt.«
    Arekh antwortete nicht. Er hob den Blick zu Lionor, und sie sahen einander einen Moment lang an. Die Leere und Hoffnungslosigkeit in Lionors Augen erschreckten Arekh. Ihr Gesicht und ihr Oberkörper wiesen erste Spuren von Folter auf: frische Narben und eben erst geronnenes Blut. Ihr Körper zitterte immer wieder anfallartig, und ihre Arme krampften sich um das Kind; es konnte noch keinen Monat alt sein. Auf Höhe ihrer Brüste breiteten sich Milchflecken im groben Leinenstoff ihres bereits blutbesudelten Gewandes aus.

    Sie war wohl nur dem ersten Grad der Folter unterzogen worden, der sogenannten »leichten Berührung«. Dabei wurde mit den Nerven der Haut gespielt, ohne das Innere zu sehr zu schädigen; die Knochen und der Rest des Körpers blieben unversehrt. Beim zweiten Grad der Folter schnitt man schon tiefer.
    Das Kind schien nicht angerührt worden zu sein.
    Noch nicht.
    »Wir möchten nicht, dass Ihr uns … entgleitet, bevor wir nicht einige Antworten auf unsere Fragen erhalten haben«, fuhr der Seelenleser fort. »Ich entschuldige mich in aller Form bei Euch für die Art, auf die Ihr zumindest zu Anfang behandelt - oder vielmehr nicht behandelt - worden seid. Manche hier hatten noch nicht begriffen, wie wichtig Ihr seid. Wenn Ihr gestorben wärt, hätte das schwere Strafen nach sich gezogen.«
    In den Rittersagen und Geschichten, in denen in Versen

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