Volk der Verbannten
wirkte, packte Banh den Seelenleser am Arm und riss ihn zurück, um Vashni zu beschützen. Die beiden Wachen eilten zu Laosimba, um ihm zu helfen, und entfernten sich so kurz von Arekh und Lionor.
Sofort wirbelte die junge Frau, ihr Kind fest an sich gedrückt, herum und begann zu laufen, durch die Tür, einfach geradeaus, auf die Säulen zu.
Sie hatte keine Chance, das wusste Arekh. Ihre Verletzungen waren zu schwer; sie würde zusammenbrechen, bevor sie auch nur zehn Schritt weit gekommen war, und überhaupt: Wohin sollte sie gehen? Das Regierungsviertel war ein Labyrinth, eine kleine Stadt aus Dutzenden von Gebäuden, Hunderten von Gängen und Stockwerken, die allesamt von mächtigen Feinden bevölkert waren. Doch als die Wachen ihr nacheilen wollten, stürzte Arekh sich trotz seiner gefesselten Hände auf sie, brachte den ersten Soldaten zu Fall und schlug dem zweiten seine Ketten ins Gesicht. Hinter sich hörte er Vashni schreien
und Laosimba unterdrückt fluchen. Dann stolperte er, bekam einen Schlag auf den Kopf, stürzte und rollte über den Boden, bis er neben dem ersten Soldaten lag.
Dieser stand unbeholfen auf. Einen Herzschlag lang befand sich der Griff des Dolchs, den er am Gürtel trug, nahe bei Arekhs gefesselten Händen …
Fünfzehn Schritte entfernt war Lionor von zwei Angestellten überwältigt worden, die den Gang heruntergekommen waren. Sie hatte sich kurz gewehrt, war dann aber zusammengebrochen.
» Hund! «, schrie Laosimba mit fast hysterischer Stimme. Betäubt von seinem Sturz hatte Arekh ihn nicht das Vorzimmer durchqueren sehen, aber plötzlich war er da, über ihm, und begann ihm Tritte in Oberkörper und Bauch zu versetzen. »Das wirst du büßen! Ihr alle beide! Ihr …«
Arekh hob den Arm und rammte dem Seelenleser mit aller Kraft den Dolch in den Unterleib.
Die Klinge prallte ab, sicher vom Rand eines Kettenhemds, und streifte dann Fleisch … Leicht, zu leicht. Laosimba machte einen Satz nach hinten, so dass der Stoß vollends ins Leere ging, und stieß dann einen kurzen Schrei aus, der interessanterweise leiser war als der, den es ihm entlockt hatte, dass Vashni ihm ins Gesicht gespuckt hatte. In blutrünstiger Wut trat er auf Arekh ein, versuchte, ihm das Gesicht mit den Stiefeln zu zerschmettern. Arekh wollte erneut auf ihn einstechen, aber jemand riss ihm den Dolch aus der Hand.
Für einen Moment verlor er das Bewusstsein. Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass Lionor zurück ins Zimmer geführt worden war. Laosimba brüllte unverständliche Flüche und versuchte, ihr das Kind zu entreißen.
Banh schrie: »Wachen! Wachen!«
Arekhs Kopf sank wieder auf den Boden, und er wurde erneut ohnmächtig, wenn auch nur für einige Herzschläge.
Als er wieder zu sich kam, war seltsame Ruhe im Zimmer eingekehrt. Sechs Soldaten in den Farben von Harabec hatten Laosimba überwältigt. Die beiden Wachen aus Reynes zögerten; sie wussten nicht, was sie tun sollten. Lionor hockte mit dem Kind im Arm an der Wand und schluchzte stumm. Banh schrie noch immer, aber kein Laut kam über seine Lippen.
Arekhs Ohren hörten zu rauschen auf, und die normale Lautstärke kehrte zurück. Lionors Schluchzen wurde deutlich hörbar, ebenso Banhs Worte.
»… Vorzimmer gehört nicht zum Gebiet von Reynes! Ich verbiete euch, sie anzurühren! Solange sie hier sind, verbiete ich euch, Hand an sie zu legen, verstanden?«
Laosimba hatte seine Ruhe zurückgewonnen. Die Wachen ließen ihn los, und er rührte sich nicht, doch sein Reptilienblick blieb auf Banh haften, der nun schwieg.
Blut befleckte das Hemd des Seelenlesers dort, wo Arekh ihn getroffen hatte, aber die Wunde schien oberflächlich zu sein.
Arekh biss sich auf die Lippen und richtete sich mühsam auf, indem er sich an der Tür hochzog; der Kopf und das Gesicht taten ihm weh. Da hatte er nun Dutzende von Fremden ermordet, denen er eigentlich nichts Böses gewollt hatte, aber diesen Mann, den er unendlich hasste und wirklich töten wollte, hatte er kaum verletzt.
Endlich stand er mit zitternden Beinen aufrecht da.
»Laosimba«, sagte er plötzlich, ohne zu wissen, wie er fortfahren würde.
Arekhs Tonfall sorgte dafür, dass alle im Vorzimmer sich ihm zuwandten.
Arekh musterte stumm den Seelenleser, den Mann, auf dessen Einfall das Große Opfer zurückging, der Hunderttausende von Menschen zu einem fürchterlichen Tod verurteilt hatte, der erst Marikani und dann Lionor hatte foltern lassen, der ihn hatte foltern lassen, den Mann,
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