Volk der Verbannten
und Bara erröteten gleichzeitig. Bara sprang auf, als hätte man ihn geschlagen, und setzte sich dann verlegen wieder hin.
Der Herr der Verbannten lachte leise. »Kommt, das ist doch keine Schande! Ihr seid eine schöne Frau, es ist nur normal, dass Ihr gewisse Bedürfnisse habt … Und so ist es nun mal in der Welt: Intelligente Männer suchen sich weise Frauen und weise Frauen starke Männer.«
»Bara ist nicht mein Geliebter«, sagte Marikani in trockenem Tonfall, den sie mit einem Lächeln abzumildern trachtete. »Aber stark ist er in der Tat. Ein hervorragender Beschützer.«
»Wie Euer früherer Begleiter.« Marikani wollte etwas einwenden, aber der Herr der Verbannten fuhr bereits fort: »Arekh es Morales, so hieß er doch, nicht wahr? Es sind auch über ihn Gerüchte im Umlauf … über ihn und Euch, in Salmyra. Er scheint ein findiger Mann zu sein.«
»Das hat ihn nicht davon abgehalten zu sterben«, sagte Marikani schlicht. Sie hätte gern in neutralem Ton gesprochen, aber ihre Stimme klang heiser. Als sie von Arekhs Tod erfahren hatte, hatte sie sofort alles verschlossen. Alles. Ihr Herz, ihren Verstand. Sie konnte sich keinen Schmerz leisten, wenn sie Hunderte von ausgehungerten Menschen durchs Ödland ins Gebirge führte.
Also hatte sie die Nachricht beiseitegewischt. Und hatte sich verboten, daran zu denken, darüber nachzugrübeln, sich vorzustellen, wie Arekhs Leichnam auf dem Sand der Hochebene verweste.
Der Herr der Verbannten zuckte mit den Schultern. »Wir sterben alle. Und die Seelenleser haben die Barmherzigkeit vergessen. Niemand entkommt ihnen, noch nicht einmal die Tapfersten.«
»Die Seelenleser?«, wiederholte Marikani mit gerunzelter Stirn. »Nein, es war in Nôm. Arekh ist am Tag nach dem Großen Opfer getötet worden.«
»In Nôm? Da habe ich etwas anderes gehört.«
»Auf der Hochebene, in der Nähe der Wälder«, erklärte Marikani. Ihr brummte schmerzhaft der Schädel. Arekhs Namen auszusprechen kam ihr wie ein Vergehen vor. »Ein Dutzend Sklaven hat ihn fallen sehen. Das kleine Mädchen, das bei ihm war, Non’iama - sie ist im Wald verschwunden. Die Überlebenden sind geflüchtet und haben Arekh zurückgelassen. Sie haben mir erzählt, wie die Soldaten ihn getötet haben.«
»Nur, dass sie ihn eben nicht getötet haben«, sagte der Herr der Verbannten. »Zumindest nicht nach den Angaben meiner Informanten. Er war verwundet, aber er wurde gefangen genommen. Er und Lionor Mar-Arajec sind nach Reynes geschafft worden und dort einige Tage nach ihrer Ankunft unter der Folter gestorben.«
Marikani blieb verblüfft mit aufgerissenem Mund sitzen; sie brachte kein Wort heraus. »Folter?«, wiederholte sie schließlich. »Reynes? Lionor? «
Schweigen folgte. Der Herr der Verbannten erhob sich. »Es tut mir sehr leid. Eine solche Nachricht sollte man schonender überbringen. Aber ich dachte, Ihr wärt schon auf dem Laufenden. Es tut mir sehr leid«, wiederholte er.
Marikani drehte sich zu Bara um, der sie halb hilflos, halb bekümmert betrachtete.
»Die Seelenleser? Seid Ihr Euch sicher?«, fragte sie schließlich und spürte, dass ihre Lippen zitterten.
Wenigstens hat Arekh nicht leiden müssen , hatte sie sich zuweilen gesagt - das war einer der verbotenen Gedanken gewesen, die ihr eigentlich nicht hatten kommen sollen. Und wenn die Kälte im Wald zu unerträglich geworden war, hatte sie sich mit der Vorstellung getröstet, dass wenigstens Lionor in Sicherheit war und auf dem Gut Arajec ihr Kind wiegte.
Und jetzt …
Ihretwegen …
»Ich verdiene es nicht zu leben«, sagte sie abrupt.
Sie hörte Baras Keuchen neben sich und sah den ungläubigen Blick des Herrn der Verdammten.
»Alles, woran ich geglaubt habe, was ich war, was ich verteidigt habe …« Sie stand auf und spürte, wie ihr schwindlig wurde, wie sich die Bilder umwölkten und ihr Blick sich im Nebel verlor. Arekhs Gesicht vermischte sich mit dem des jungen Offiziers des Emirs in Faez, mit dem Anblick der Opfer der Plünderungen, die sie befohlen hatte, mit dem der Leichen, von denen die Königreiche nach dem Großen Opfer übersät gewesen waren.
»Ich verdiene es nicht zu leben.«
»Das stimmt«, sagte der Herr der Verbannten. Sein Tonfall war hart, schneidend. »An Euren Händen klebt viel Blut. Stürzt Euch also in den See und lasst Euch hinabsinken. Ich kann auch - wenn Euch das lieber ist - einem meiner Männer befehlen, Euch die Kehle durchzuschneiden. Das wird ganz leicht sein, kurz und schmerzlos.
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