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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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es unwahr?«
    Marikani seufzte. »Leider nein. Es stimmt. Auf dem Pflaster eines Hofs, weil er es gewagt hatte, sich seinen Herren zu widersetzen …«
    »Ich freue mich, Euch wiederzusehen, Marikani«, sagte der Herr der Verbannten. »Kommt, wärmt Euch auf. Wir sollten miteinander sprechen.«
     
    Sie stiegen noch immer weiter hinauf.
    Arekhs Kräfte verließen ihn. Sein Bein tat so weh, dass ihm ein roter Nebel vor Augen stand. Er hätte sich beinahe zu Boden fallen lassen, egal, ob sie ihm dann einfach da, zu Lionors Füßen, den Gnadenstoß versetzen würden … Er konnte nicht mehr, er hielt es nicht mehr aus. Und hielt es dennoch aus, stellte sich den Herausforderungen - noch drei Stufen … noch zwei … noch eine… - und wollte gerade aufgeben, als sie eine kleine Holztür erreichten, die mit vergoldeten Zierleisten geschmückt war.
    Diese Tür und die zierlichen, kunstvollen Einlegearbeiten bildeten einen solchen Kontrast zu der schwarzen, feuchten Welt, in der Arekh so lange ertränkt worden war, dass eine Welle der Energie ihn durchströmte: nur ganz leicht und für einen Augenblick, aber sie reichte aus, ihn zu tragen, bis sie die Schwelle überschritten hatten. Er ließ den Blick auf den Zierleisten ruhen und versuchte, seinem Gedächtnis ihre zerbrechliche Form
einzuprägen, als ob der Anblick solcher Schönheit - selbst wenn sie flüchtig war - zumindest teilweise die fürchterlichen Bilder auslöschen könnte, die seinen Verstand bevölkerten.
    Sie machten zwei Schritte auf der anderen Seite.
    Und fanden sich in Tageslicht getaucht wieder.
    Eine Welle des Glücksgefühls brach über Arekh herein. Seine Kehle schnürte sich zu, und einige Herzschläge lang konnte er nicht mehr atmen. Blasses, fahles Morgenlicht. Sonnenschein. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit traten ihm Tränen in die Augen, die nicht von Schmerzen hervorgerufen wurden.
    Neben ihm weinte Lionor leise, das Gesicht den hohen Fenstern zugewandt.
    »Vorwärts«, befahl eine der Wachen.
    Sie gingen durch eine weitere Tür und gelangten an die frische Luft.
    Arekh ging, vergaß sein Leid, verschlang mit Blicken alles, was sich um ihn herum befand. Es war kein Wunder, dass der Weg so lang gewesen war. Sie gingen nun durch den Ringkorridor, einen gewaltigen Säulengang, der kreisförmig den Verbotenen Garten umfing, der genau im geometrischen Mittelpunkt des Regierungsviertels lag. Über diesen Garten erzählte man sich, dass Fîr, der Beschützer von Reynes, ihn geschaffen habe, um sich dort auszuruhen, nachdem er vor fünftausend Jahren die Grundsteine der Stadt gelegt hatte. Der Garten hatte sich einst über mehrere Meilen erstreckt, aber die Gebäude der Ratsversammlung waren hineingebaut worden und hatten Stück für Stück seine wilde Schönheit verschlungen, bis nur noch einzelne Stücke davon in den Höfen und zwischen den verschiedenen Flügeln übrig geblieben
waren. Und natürlich dieser Kreis, der von dem Säulengang geschützt wurde.
    Dieses Rondell aus Bäumen, Blumen, Rankpflanzen und Säulen wurde von den Einwohnern der Fürstentümer mehr als irgendetwas sonst geachtet. Denn wenn dieser Garten das Herz der Ratsversammlung war und die Ratsversammlung das Herz von Reynes, Reynes das Herz der Fürstentümer und die Fürstentümer ihrerseits die wichtigste Macht der einundzwanzig Königreiche - war der Verbotene Garten dann nicht der Mittelpunkt der Welt?
    Fîr hatte jede Pflanze und jedes Blatt darin gesegnet, und niemand hatte das Recht, dort spazieren zu gehen - abgesehen von den Priestern, die komplizierte Rituale vollzogen, um die Pflanzen zu beschneiden und den Garten in seiner Schönheit zu bewahren.
    Es war früh, selbst für die Ratsversammlung, die niemals schlief, und in der Galerie begegneten ihnen nur einige noch schläfrige Ratsherren, Assistenten, die Schriftrollen und Federn trugen, und einige Mädchen mit bläulichen Ringen unter den Augen und zerlaufener Schminke: Tänzerinnen oder Prostituierte, die von einer wilden Nacht zurückkehrten, die sie in einem der gewaltigen diplomatischen Gebäude verbracht hatten, in denen - manchmal für mehrere Jahre am Stück - fremde Gesandtschaften untergebracht waren.
    Die beiden Gefangenen, die, umringt von den Soldaten, den kreisförmigen Säulengang entlanggingen, zogen einige neugierige Blicke auf sich, besonders von den Frauen. Die Angestellten ignorierten sie, nicht aus Bosheit, sondern einfach, weil sie schon ganz andere Dinge gesehen hatten. Sie hatten zu tun und

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