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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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der fähig war, einer Mutter in Ketten ihr Kind zu entreißen. Passte da Vashnis derbe Beleidigung? Alte Fluchformeln aus den Sümpfen von Miras, in denen Arekh aufgewachsen war, kamen ihm in den Sinn. Die Worte von Bauern, die sie hervorstießen, wenn sie ausspuckten, an den Nachbarn gerichtet, der ihnen ihr Land gestohlen hatte, den Gutsherrn, der ihre Tochter vergewaltigt hatte, Worte so alt wie die Zeit und die Jahrhunderte, die vergangen waren, ohne dass sich in jenem öden, trostlosen Landstrich etwas geändert hätte.
    »Laosimba es Verityu von Meslore, Gesegneter des Fîr«, sagte Arekh langsam, »ich verfluche dich … Und der Himmel und die Götter tun es mit mir, und ich sage dir und sehe es vor mir: Dein heutiger Ruhm wird dich nicht retten. Bei den Runen, die unser Schicksal dort oben festschreiben, sage ich dir: Dein Tod wird schnell und heftig erfolgen und von meiner Hand, und alles, was du aufgebaut hast, wird zerstört werden. Höre mich! Denn die Götter sprechen aus meinem Mund.«
    Stille senkte sich über das Vorzimmer.
    Sogar Lionor hatte zu weinen aufgehört. Diese Sätze klangen aus Arekhs Mund so seltsam und unterschieden sich so stark von seiner üblichen Redeweise, dass ein wenig Vorstellungskraft oder Glaube ausreichte, um
einige Augenblicke lang tatsächlich anzunehmen, dass die Götter durch ihn gesprochen hatten.
    Vashni starrte Arekh verblüfft an. Banh wusste nicht, was er sagen sollte, und die beiden Wachen aus Reynes standen da wie vom Donner gerührt.
    Laosimba war sehr bleich. Er musterte Arekh eine ganze Ewigkeit mit leerem Blick.
    Schließlich wandte er sich Banh zu, wie um das Gespräch wieder aufzunehmen, fand nicht die rechten Worte und sah erneut Arekh an.
    Dann ging er mit großen Schritten zur Tür hinüber. Als er neben den Wachen stand, drehte er sich zu Banh um. »Ich werde nur mit dem König von Harabec persönlich verhandeln. Und da er noch nicht hier ist …«
    »Wir haben noch nichts Neues gehört«, erklärte Banh. »Er hätte heute Morgen eintreffen sollen, aber …«
    Er brach ab. Laosimba verfügte über ein Netz von Spionen und Boten, das weitaus besser funktionierte als das Harabecs. Er wusste sicher mehr als Banh.
    »Er soll sich beeilen! Ich werde nicht lange warten«, sagte Laosimba. Er deutete auf die Gefangenen. »Ihr seid für sie verantwortlich. Sie dürfen das Vorzimmer nicht verlassen. Die Ketten dürfen ihnen nicht abgenommen werden, und sie dürfen nichts zu essen oder zu trinken erhalten. Meine Männer werden darüber wachen.«
    Er ließ die beiden Wächter zurück und verschwand hinter den Säulen.
     
    Der Tee war bitter und kaum gesüßt, aber er blieb Marikani im Hals stecken, verbrühte sie und ließ sie heftig zittern. Bara saß scheinbar gleichmütig neben ihr unter dem Baldachin und trank. Aber Marikani wusste, dass er in
Wirklichkeit höchst aufmerksam war und jederzeit aufspringen konnte.
    Der zweite Schluck des brennend heißen Getränks verschaffte ihr ein animalisches, sinnliches Vergnügen. Es war so lange her, dass sie etwas derart Heißes getrunken hatte. Die Sagenhelden, von deren Taten man erzählte, sehnten sich anscheinend nie nach dem Luxus der Paläste, aus denen sie verjagt worden waren. Wenn es ihnen das Herz brach, dann um einer Frau oder eines Verrats willen, aber nie, weil sie wehmütig an gut gewürzte, dampfende Speisen, gewärmten, mit Sirup gesüßten Wein und aufwändige Getränke zurückdachten, die man lange kochen ließ, damit Zimtstangen darin ihr ganzes Aroma entfalten konnten …
    Marikanis Herz zog sich zusammen, wenn sie daran dachte. In Samt und Seide aufgewachsen , so hatte Arekh es einmal ausgedrückt.
    »Ihr habt Euch verändert«, sagte der Herr der Verbannten.
    Er trank nicht, sondern beschränkte sich darauf, sein Glas zwischen den Händen kreisen zu lassen, als wolle er sich die Handflächen wärmen.
    »Findet Ihr?«, erwiderte Marikani bitter. »Manchmal frage ich mich das auch …«
    Der Herr der Verbannten nahm einen Schluck. »Nun?«
    »Was, ›nun‹?«
    »Ihr habt um ein Gespräch mit mir gebeten. Ich bin hier.«
    »Ja«, seufzte Marikani nach kurzem Schweigen. »Ich schleiche um den heißen Brei herum. Was ich zu sagen habe, wirkt so verrückt …«
    »Sagt es dennoch; Verrücktheit ist oft amüsant«, erklärte
der Herr der Verbannten. Dann wandte er den Kopf und musterte Bara. »Ist Euer Liebhaber hier genauso wild wie der andere? Eure Beschützer sind immer ernst zu nehmen und …«
    Marikani

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