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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Nase des jüngeren Soldaten schwenkte. »Die Kette ist aus reinem Gold, und darin ist ein Vahalor-Stein eingelassen. Achtzehntausend Res - das
habe ich zumindest bezahlt, und inzwischen ist das Bergwerk in Vahalor geschlossen. Der Wert der Steine hat sich verdoppelt.«
    »Ehari Vashni …«, begann Banh, aber die junge Frau hörte nicht auf ihn.
    »Nehmt sie, nehmt auch die Ohrringe und dann verlasst dieses Zimmer«, zischte Vashni. »Nur für einige Augenblicke. Geht, verschwindet! Wenn die Gefangenen in Eurer Abwesenheit ihre Ketten sprengen, seid Ihr nicht verantwortlich.«
    Der Soldat schüttelte den Kopf. Er war aschfahl. »Ehari, das ist unmöglich. Selbst wenn wir wollten … Die Seelenleser … Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was sie …«
    »Ehari Vashni«, wiederholte Banh. Er durchquerte das Vorzimmer und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Tut das nicht! Ihr würdet unser Todesurteil unterzeichnen und …«
    »Das Kind! Dann nichts als das Kind!«, sagte Vashni mit bebender Stimme. »Lasst uns die Zeit nutzen, um es verschwinden zu lassen. Wir können es einer der Frauen aus …«
    Der Wachsoldat machte weiter entsetzt abwehrende Bewegungen, und Banh riss Vashni zurück.
    »Nein!«, schrie er, und Vashni starrte ihn schockiert an. Er packte sie bei den Schultern und schüttelte sie heftig. »Nein! Denkt nach! Wollt Ihr sterben?«
    Vashni blickte ihn einen Moment lang wütend an und ließ sich dann zurück in ihren Sessel fallen.
    Banh musterte sie eine Weile und nahm dann zögernd den Schmuck aus Vashnis Hand.
    Er trat auf den Soldaten zu und legte ihm die Halskette und die Ohrringe in die Hand. »Erlaubt, dass wir ihnen
zu essen und zu trinken geben«, sagte er. »Euer Herr wird nie davon erfahren.«
    Der Wachsoldat zögerte, nickte dann aber knapp.
     
    Der Frachtraum des Schiffs der Verbannten war zu einem Empfangszimmer ausgebaut. Die Wände waren mit rotem Samt bespannt, Teppiche bedeckten den Boden, und geschnitzte Stühle standen rund um einen Holztisch, dessen Beine auf der einen Seite kürzer als auf der anderen waren, um die Neigung des Bodens auszugleichen. Kerzenhalter, Vasen und Skulpturen standen auf schweren Sockeln aus poliertem Holz.
    Auf dem Tisch war eine Karte des Nordens der Königreiche ausgebreitet - von den Freien Städten bis zum südlichen Kiranya. Die Karte war groß, und Hunderte kleiner Nadeln mit purpurfarbenen Köpfen steckten darin. Die Nadeln waren hauptsächlich in zwei Gruppen angeordnet: Eine befand sich in der Stadt Gaïsal südlich der Tränenstadt, eine weitere im Süden des Emirats.
    »Wisst Ihr, was das ist?«, fragte der Herr der Verbannten, indem er auf die erste Gruppe von Nadeln deutete.
    Marikani schüttelte den Kopf.
    »Habt Ihr von der Nacht der Wasser von Gaïsal gehört? Sechs Tage nach dem Großen Opfer?«
    »Nein. Da waren wir schon unterwegs zu den Gipfeln«, sagte Marikani. »Seit jenem Abend bin ich von der Außenwelt abgeschnitten. Reynes hätte niederbrennen können, ohne dass ich etwas davon erfahren hätte.«
    »Oh, Ihr werdet es erfahren«, murmelte der Herr der Verbannten. »Die ganze Welt wird es erfahren.« Er strich mit dem Finger über die Köpfe der Nadeln. »Das hier haben sie ›das verdiente Massaker‹ genannt. An
jenem Abend ist es zu einer Auseinandersetzung zwischen einem Krämer und dem Anführer der Verbannten von Gaïsal gekommen - auf einem Boot, das am Anleger festgemacht hatte. Wie viele andere hatte dieser Krämer gewaltige Geldsummen verloren. Der Aufstand, der Krieg, der Verlust seiner Arbeitskräfte … Er schuldete den Verbannten zweihundert Res und wollte, dass Sanh - der Anführer der Verbannten - ihm die Schuld erließ. Sanh weigerte sich. Der Krämer stach ihn nieder und warf seinen Leichnam ins Wasser. Die anderen Verbannten rächten sich und töteten den Händler.«
    Marikani nickte; aus der Anzahl der Nadeln schloss sie, was nun folgen würde.
    »Der Krämer hatte einen Bruder, der die Bevölkerung aufgehetzt hat. Viele Leute schuldeten den Verbannten Geld. In der Nacht stiegen sie ins Wasser, kletterten auf die Boote und metzelten alle nieder. Vierhundertdreiundfünfzig Männer, Frauen und Kinder, alle Verbannten von Gaïsal. Das war das denkbar wirkungsvollste Mittel, all ihre Schulden zu tilgen.«
    »Das Gleiche ist wohl im Süden des Emirats geschehen«, sagte Marikani und deutete auf die zweite Gruppe von Nadeln. Die Einzelheiten eines Gesprächs vor über einem Jahr kehrten ihr ins Gedächtnis zurück.

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