Volk der Verbannten
Königreiche reisen, in die Werften eindringen und sie in meine Hand bringen. Wenn wir genug Schiffe haben,
werden wir alle aufbrechen. Auf die andere Seite des Ozeans.«
Die Erklärung war zu kurz, zu knapp. Sie hätte alles näher erläutern sollen, hätte Argumente liefern müssen, aber sie hatte nicht mehr die Kraft dazu. Ihr Verstand war leer und erkaltet. Einer ihrer größten Trümpfe - die Fähigkeit, ihre Gesprächspartner zu überzeugen und zu verführen - war verschwunden.
Sie rechnete mit Gelächter, das unweigerlich auf ihre Worte folgen musste.
Es kam keines.
Der Herr der Verbannten musterte sie mit zusammengekniffenen Augen; er dachte nach. »Wie viele seid ihr?«
Marikani zuckte mit den Schultern. »Zweitausend. Im Augenblick. Unsere Zahl erhöht sich täglich.«
»Wenn vierzig bis fünfzig Personen auf ein Schiff passen, braucht Ihr mindestens vierzig. Ich glaube nicht, dass Kinshara heute über mehr als fünfzehn verfügt. Und ein Schiff zu bauen ist eine Arbeit, für die man einen langen Atem braucht.«
»Ich weiß.«
»Ihr werdet die Werften monatelang besetzt halten müssen, vielleicht sogar ein ganzes Jahr. Währenddessen werdet Ihr die Arbeiter und Schiffbauer als Geiseln halten müssen … während Euch draußen die Armee von Kinshara keine Atempause gönnt.«
»So ist es. Es stellt sich auch die Frage nach der Nahrung, um unser Überleben und das der Arbeiter zu sichern. Und bevor wir über all das nachdenken, müssen wir erst einmal Samara erreichen. Zu dem Zweck müssen wir Kiranya, Kinshara und vielleicht einen Teil von Sleys durchqueren. Aber die Nahrung ist schon jetzt knapp,
wir haben kaum Waffen und nur wenige Pferde. Und die meisten Männer in kampffähigem Alter haben keine militärische Ausbildung genossen.«
»Ich verstehe. Nur aus Neugier … Wo wollt ihr denn hin, jenseits des Ozeans?«
»Dorthin, wo wir herkommen - wo das Türkisvolk herkommt. Ins Ursprungsland meiner Vorfahren jenseits des Meeres …«
Sie schwieg und lauschte den Wellen, die um den Rumpf des großen Schiffes spielten. Alle Gliedmaßen taten ihr weh, als sei sie gestürzt.
Bara betrachtete sie weiter schweigend. Der Herr der Verbannten dachte erneut nach. Einige Augenblicke später gab er ein Zeichen, und eine rothaarige Frau erschien und trug eine Pfeife und eine Schale Rauchpaste die Treppe herauf.
Der Herr der Verbannten zog an seiner Pfeife, und Marikani musterte ihn. Sie fragte sich, ob er sie, wie beim letzten Mal, zu einer Zeremonie einladen wollte.
Doch das war nicht der Fall.
»Wenn wir überleben wollen«, fuhr sie schließlich fort, »brauchen wir Nahrung, Waffen und Rüstungen. Und vielleicht auch Männer, die in der Lage sind, meine Mannschaften auszubilden. Ihr habt Geld … viel Geld und dank des Wassers das beste Handelsnetz der Königreiche. Fluss um Fluss, Strom um Strom könntet Ihr unserem Vormarsch folgen und uns Stück für Stück liefern, was wir benötigen.«
»Ich verstehe. Und was bietet Ihr uns im Gegenzug?«
»Nichts.«
Der Herr der Verbannten zog die Augenbrauen hoch und nahm dann einen Zug aus seiner Pfeife. »Ich weiß
kühne Handelsangebote durchaus zu schätzen«, sagte er. »Und dieses ist besonders gewagt. Könntet Ihr vielleicht … auf die Einzelheiten eingehen?«
»Wir haben nichts«, sagte Marikani mit einem matten Lächeln. »Kein Geld, keine Beziehungen, nichts. Unser einziger Trumpf ist rohe Gewalt. Ich dachte, dass wir auf unserem Weg Städte und Dörfer plündern könnten, auch Tempel. Dann könnten wir Euch Geld und Kostbarkeiten für Nahrungsmittel und Material bieten. Eure Boote würden uns auf den Flüssen folgen.«
Der Herr der Verbannten nahm noch einen langen Zug aus seiner Pfeife. »Das würde Euch zwingen, durchs Herzland von Kiranya zu ziehen, um die reichsten Städte anzugreifen. Es wäre aber sicherer, es nördlich zu umgehen und durch das Ödland zu reisen. Und außerdem hättet Ihr von der ersten Plünderung an sämtliche Armeen und die ganze Bevölkerung gegen Euch.«
Marikani schüttelte den Kopf. »Es ist aber die einzige Lösung.«
Langes Schweigen folgte.
»Ich sehe eine andere«, sagte der Herr der Verbannten.
»Es reicht! Genug von diesem Unfug!«, sagte Vashni und stand abrupt auf; ihre Heftigkeit ließ Banh zusammenzucken.
Sie marschierte mit großen Schritten auf die Wachen zu und riss sich erst die Ohrringe und dann die Halskette ab. »Wisst Ihr, wie viel das wert ist?«, fragte sie, indem sie den Schmuck vor der
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