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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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wich Rhô einen Schritt zurück, stolperte … Und plötzlich sprang das Kind auf ihn, ließ ihn stürzen. Die Kleine stach mit aller Kraft zu, traf seine Schultern, seinen Hals und stand dann mit blutbefleckter Klinge auf, um zu schreien: » Ayesha! Sing das Todeslied der Kinder des Gottes, dessen Namen man nicht nennt! «
    Der alte Sakâs und sein Kumpan standen einen Moment lang da wie vom Donner gerührt. Dann packten sie ihre Äxte und begannen zu laufen.
    Das kleine Mädchen zog sich zurück, das Messer noch
immer erhoben, floh aber nicht. Langsam, Schritt für Schritt, wich sie zurück, bis sie eine alte Terrasse erreichte, die am Rande des Hügels errichtet war.
    »Brus! Nimm die rechte Seite!«, schrie der alte Sakâs seinem Gefährten zu.
    Er fügte noch einige Anweisungen in der Kriegssprache hinzu, einer knappen, rauen Sprechweise, die kaum hundert Wörter umfasste. Die Sakâs hatten sie von Faa-Mî, dem Sohn des Arrethas, und Hâl, der Kriegerin, deren Lenden die ersten Sakâs-Häuptlinge entstammten, übernommen. Brus eilte sofort zu der Terrasse hinüber. Er rannte mit gesenktem Kopf, als habe er vor, ein zorniges Tier zu zähmen, wie man es in der Hâlas-Zeremonie tat. Rhô lag von Krämpfen geschüttelt im Gras und wimmerte wie ein verletztes Pferd. Vielleicht können wir ihn noch retten , dachte der alte Sakâs. Die kleine Wilde hatte heftig zugestochen, aber nicht gezielt. Sie hatte vielleicht nicht die Stellen getroffen, an denen der Schatten des Todes lauerte.
    Er schritt weiter vorwärts, während das kleine Mädchen zurückwich und versuchte, beide Männer zugleich im Blick zu behalten. Brus hob die Hand in einer rituellen Anrufung Hâls und stürmte dann mit erhobener Axt vorwärts, bereit zuzuschlagen …
    Die Kleine sprang über den Rand der Terrasse und verschwand. Brus zögerte kurz, sprang dann an derselben Stelle und verschwand ebenfalls.
    Erzürnt ließ der alte Sakâs einen Schwall von Flüchen los. Was für ein Ärger! Das Volk der Hâl benötigte - verloren in fremden Landen, um das heilige Feuer durch die Gebiete der Barbaren zu tragen - jeden kampffähigen Mann. Das hatte der König gesagt; er hatte mehrfach
wiederholt: »Fern unserer Heimat ist jeder kampffähige Mann ein wertvolles Gut, das wir nicht verschwenden dürfen. Versetzt den Feind in Angst und Schrecken, bevor Ihr zuschlagt - dann werden drei Mal weniger Tapfere unter gegnerischen Hieben fallen!«
    Die Kleine hatte keine Angst - überhaupt keine, und deshalb hatten sie vielleicht Rhô verloren. Wenn nun noch ein Mann verwundet wurde, nur weil sie versuchten, sich eines Kindes zu entledigen, das zunächst einmal keine Gefahr für sie dargestellt hatte, dann hätten sie die Kleine ebenso gut gehen lassen können. Das hier war wider jede Vernunft!
    Der alte Sakâs näherte sich vorsichtig der Kante der Terrasse, bückte sich und nickte. Eine verlassene Treppe, die sicher schon lange vor der Terrasse gebaut worden war, führte zwischen den Felsen hinab. Er kletterte über die Kante und stieg hinunter.
    Am Fuße des Hügels befand sich ein altes Labyrinth aus Stein und Buchsbaum, das vor ein paar Jahrhunderten der ganze Stolz des Tempels gewesen sein musste, jetzt aber der Natur anheimgefallen war.
    » Oyah! «
    Brus kam mit einem zornigen Schrei an ihm vorbeigestürmt, und der alte Sakâs drehte sich um. Das kleine Mädchen stand da, am Ende einer Sackgasse, und wartete mit ausgestrecktem Messer. Binnen zweier Herzschläge hatte Brus sich auf sie gestürzt.
    Der alte Sakâs rührte keinen Finger, um ihm zu helfen. »Oyah« war die Duellforderung, so dass ein Einzelkampf folgen musste. Außerdem wäre es ohnehin entehrend gewesen, einem Krieger gegen ein kleines Mädchen - wild oder nicht - zu helfen.

    Brus würde sie in einem Happen verspeisen. Wenn sie Rhô verwundet hatte, dann nur, weil sie den jungen, unerfahrenen Mann hatte überrumpeln können; die Bewegungen des Kindes wiesen nicht auf irgendeine Kampfausbildung hin.
    Und dann griffen die Götter vor den Augen des alten Sakâs ein.
    Das kleine Mädchen besiegte Brus.
    Der alte Sakâs - sein Name lautete Nordos, aber so hatten ihn zuletzt die Pferdepriester genannt, die ihn in den Kalten Landen ausgebildet und dann an die Armee verkauft hatten - sah dem Schauspiel zu und traute seinen Augen nicht.
    Ein neunjähriges Mädchen mit einem alten Küchenmesser tötete einen Sakâs-Krieger.
    »Ayesha!«, schrie sie wieder, und als Brus auf ihrer Höhe war und mit der Axt

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