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Voll daneben

Voll daneben

Titel: Voll daneben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K. L. Going
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gut an.
    Das heißt ... es fühlt sich so lange gut an, bis Tante Pete gegen die Parkuhr vor dem Geschäft kracht.
    Oh Shit , ist mein erster Gedanke. Ich springe aus dem Schaufenster und renne quer durch den Laden auf die Umkleidekabine zu, während Eddie wegen der vielen Kleidungsständer schreit, die ich umgeworfen habe.
    »Was machst du denn da ... warum rennst du durch ... den ... äh ... Petey ...«
    Seine Worte verstummen, und dann höre ich nur noch Schritte, die näher kommen. Schwere Schritte.
    »Ich kann alles erklären«, brülle ich, aber dafür ist keine Zeit mehr.
    »Komm da raus, zum Teufel.«
    Ich mache den Reißverschluss meiner Hose zu und reiße die Tür auf.
    »Ich weiß, wie das jetzt aussieht, aber es gibt einen guten ...«
    »Halt den Mund.«
    Oh je.
    Tante Pete hält mir sein Handgelenk unter die Nase. »Wie viel Uhr ist es, Liam?«
    »Zwei Uhr?«
    »Um wie viel Uhr stehe ich auf?«
    »Um drei?«
    »Um wie viel Uhr ist die Schule aus?«
    »Um Viertel vor drei?«
    »Also sollte ich um zwei Uhr – zwei Uhr  – schlafen und du in der Schule sein, stimmt’s?«
    »Ja?«
    »Warum ist dann keiner von uns beiden da, wo er sein sollte?«
    Das ist eine gute Frage. Eine wirklich gute Frage.
    Eddie steht direkt hinter Tante Pete und macht unverständliche Gesten. Will er andeuten, dass ich wegrennen soll ? »Ich könnte es dir vielleicht erklären«, sagt er, bemüht, mir zu helfen, doch Pete dreht sich auf dem Absatz um.
    »Halt den Mund, Eddie.«
    »Gut«, sagt Eddie. »Ich halte den Mund.«
    Pete dreht sich wieder zu mir um.
    »Lass mich erklären, warum ich nicht dort bin, wo ich jetzt sein sollte«, sagt er. » Ich bin nicht dort, wo ich sein sollte, weil die Schule mich heute Vormittag um halb zehn angerufen hat, um mir mitzuteilen, dass mein Neffe wegen Rauchens aus dem Schulbus geworfen wurde und nicht in der Schule angekommen ist. Um halb zehn, verdammt noch mal! Um halb zehn, Liam. Weißt du, was ich in den letzten viereinhalb Stunden gemacht habe? Kannst du dir das vorstellen ?
    Ich will dir sagen, was ich gemacht habe. Ich habe jede Seitenstraße in Pineville abgefahren und mir dabei überlegt, wie ich meinem Bruder, der mich sowieso für einen verantwortungslosen Versager hält, am besten beibringe, dass mir sein einziger Sohn abhandengekommen ist. Das ist es, was ich gemacht habe. Und als ich gerade wieder nach Hause fahren will, um den Horroranruf bei deinen Eltern zu erledigen, fahre ich an diesem ... diesem –« für einen Augenblick kann Pete nur noch stottern »– Laden vorbei und sehe meinen Neffen in Unterhosen im Schaufenster sitzen.« Er hält inne und wirft dann eine ganze Stange voller Schlafanzüge um. »Aaaarrrgggghhh!«
    Ich winde mich vor Unbehagen. Das hier ist schlimm. Richtig schlimm. Eddie ringt die Hände, und wir machen beide den Mund auf, um etwas zu sagen, aber Pete will nichts hören. Er hebt beide Hände, um uns zum Schweigen zu bringen.
    »Seid still«, sagt er. »Redet nicht mit mir, bis ich mich wieder beruhigt habe. Liam, steig ins Auto.«
    Ich gebe Eddie die Boxershorts, und er winkt mir unter dem Stoff verstohlen zum Abschied zu. Ich würde zwar gern zurückwinken, aber unter den gegebenen Umständen halte ich das fürkeine gute Idee. Deshalb folge ich Tante Pete hinaus zu seinem Nissan und steige vorne ein.
    »Pete, ich ...«
    »Sei. Still.«
    »Gut.«
    Schweigend fahren wir zurück, und ich spüre, wie ich immer tiefer in Verzweiflung versinke. Ich habe eindeutig meine Zukunft versaut. Wieder einmal.
    Wir kommen vor dem Mobilheim an, und Tante Pete hält mir die Autotür auf. Er fährt sich mit den Händen durchs Haar, und als er im Haus ist, lehnt er sich an die Küchentheke. Ich warte auf seine Standpauke. Auf das Schreien und das Mit-dem-Finger-auf-mich-zeigen. Ich warte darauf, dass er mir sagt, er weiß jetzt, wie wertlos ich bin, und dass er sich fragt, warum er mich hier hat wohnen lassen. Er blickt auf.
    »Ich dachte, dir sei etwas zugestoßen«, sagt er. Die Worte klingen verärgert – wütend –, aber auch irgendwie den Tränen nahe. Er schließt die Augen.
    »Deswegen sollte ich keine Kinder haben. Die Leute warnen einen immer vor solchen Sachen, aber man glaubt es erst dann, wenn es eintritt.« Er spricht nicht mehr mit mir. Er redet mit sich selbst. »Nur so kurze Zeit, und ich hätte dich fast verloren.«
    Er fährt sich mit den Händen über das Gesicht und holt mehrmals tief Luft.
    »Mach so was nie wieder«, sagt er schließlich.

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