Voll daneben
fallen. Im Wohnzimmer kreischt eine Gitarre und das Schlagzeug klirrt. Eigentlich sollte ich hineingehen und Pete demonstrieren, wie cool ich die Sache mit der Band finde, aber ich muss ständig daran denken, dass Orlando dabei ist. Nicht Orlando. Mr DeSoto. Mein Englischlehrer.
Das sollte eigentlich kein großes Problem sein. Ich meine: Warum sollte es mir etwas ausmachen, dass mein Englischlehrer in einer Glam-Rock-Band spielt, wenn es mir nichts ausmacht, dass mein eigener Onkel mitspielt?
Aber es macht mir was aus. Was ist, wenn Orlando eine hautenge Lederhose anhat? Oder eine mit Glitzersteinchen? Mir fällt das Bild in Tante Petes Wohnzimmer ein, auf dem der Typ im Stretchanzug mit Leopardenmuster zu sehen ist. Niemand will seinen Englischlehrer in einem Stretchanzug mit Leopardenmuster sehen.
Eine Melodie ertönt, und plötzlich wird die Musik laut. Richtig laut . Und weil die Tür zu meinem Zimmer so dünn ist, macht es überhaupt keinen Unterschied, dass ich sie geschlossen habe. Ich überlege, ob ich aus dem Fenster klettern soll, aber dann beschließe ich, mich der Sache zu stellen. Also mache ich die Tür auf, blinzle ins Wohnzimmer und ...
Wie? Alle tragen Jeans und T-Shirts. Tante Pete hat sich noch nicht einmal umgezogen. Also, jetzt bin ich fast enttäuscht. Ich setze mich auf die Couch, um ihnen beim Proben zuzusehen. Dino ist am Schlagzeug, Eddie und Orlando spielen Gitarre, und Pete macht den Leadsänger.
»Lasst uns den einen Song von den Dolls spielen«, schlägt Eddie vor, als sie mit dem ersten Lied fertig sind. Aber Pete schüttelt den Kopf.
»Nee, das spielen wir doch immer. Das will Liam sicher nicht hören.«
»Liam bezahlt uns auch nicht für unseren Auftritt am Wochenende«, erwidert Orlando, aber Pete bleibt dabei.
»Lasst uns einen Klassiker von Bowie spielen. Deine Mutter ist doch immer noch ein Bowie-Fan, oder?«, fragt er mich.
Ich nicke.
»Also, dann lasst uns ›Space Oddity‹ spielen ...«
»Mit schnellerem Tempo«, schlägt Eddie vor. Erregt widersprechen die anderen.
»Das kann man doch nicht in schnellerem Tempo spielen!«
»Warum denn nicht? Damit kreieren wir unsere ganz eigene Cover-Version!«
»Weil man nicht einfach ...«
So geht das eine ganze Weile. Ziemlich bald merke ich, dass sich die Jungs gern streiten. Eddie hat eindeutig zu viel Espresso intus, was Tante Pete nutzt, um sich noch mehr aufzuregen. Orlando schlichtet den Streit, während Dino alle anderen ignoriert und zu meiner Unterhaltung hinter dem Schlagzeug verrückte Grimassen zieht.
Und trotzdem – als sie endlich loslegen, klingen sie richtig gut. Ich hätte nie gedacht, dass ich je irgendwo hocken würde, um mir Glam-Rock-Hits aus den Siebzigern anzuhören. Und meinem Englischlehrer bei einer Bandprobe zuzuhören. Aber mir wird plötzlich klar, dass es genau das ist, was ein Außenseiter machen würde.
Vielleicht wird ja doch noch alles gut.
Der Abend verläuft ruhig, bis das Telefon klingelt. Ich habe mir zum Spaß ein Lied von Fergie gewünscht, und Pete singt es genüsslich mit Falsettstimme. Die Jungs drehen dazu richtig auf. Als das Telefon klingelt, laufe ich in Socken über den Küchenboden, um sie nicht zu stören.
»Hallo?«
»Ist da Liam?«
»Ja.«
»Hier ist Jen. Aus der Schule. Was machst du so?«
Hä?
»Also«, sage ich. »Ich hänge nur gerade mit Mr DeSoto rum.«
Eine lange Schweigepause.
»Ach ja. Er ist doch in der Band deines Onkels, stimmt’s?«
Verdammt. Weiß in dieser Stadt jeder alles über jeden? Trotzdem ist es ziemlich uncool von mir, mit der Band rumzuhängen.
»Ja«, sage ich. »Sie sind genial. Glam ist echt cool.«
Eine weitere lange Pause.
»Äh, genau.«
»Also was gibt’s?«, frage ich, während ich mich angenehm uncool fühle. Jen hustet.
»Hör zu, ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich dich anrufe. Ich hab die Nummer deines Onkels aus dem Telefonbuch. Ich hab von der Sache im Bus heute gehört und ...«
Oh je.
»... na ja, und ich wollte wissen, ob du vielleicht mit mir und Nikki und Joe zur Schule fahren willst. Ich könnte dich morgens abholen.«
Verflucht. Jetzt will mich auch noch ein sexy Cheerleader mit einem Wahnsinnskörper zur Schule fahren. Was kann denn noch alles schiefgehen?
»Oh, wow«, sage ich, um Zeit herauszuschinden. »Das ist wirklich ein nettes Angebot. Du musst das nicht machen. Sicher liegt unser Haus abseits von deinem Schulweg.«
»Tut es nicht«, sagt sie. »Ich hol dich gerne ab.«
Ich wickle mir die
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