Voll daneben
»Mach so was nie wieder .«
23
ICH BIN ZEHN JAHRE ALT und begleite Dad heute zur Arbeit. Ich freue mich schon seit Wochen darauf, aber er telefoniert die ganze Zeit. Wir wollten in einem Restaurant in der Nähe von Dads Büro zusammen Mittag essen, aber jetzt ist es schon lange nach zwölf, und jedes Mal, wenn ich frage, ob wir jetzt gehen können, sagt Dad: »Noch nicht.« Also wandere ich zum Snackautomaten am Ende des Flurs, weil ich ein paar Münzen in der Tasche und Hunger habe. Doch als ich dort ankomme, ist der Automat kaputt.
Ich gehe in ein anderes Stockwerk und suche einen anderen Automaten, aber ich finde keinen, also gehe ich wieder in ein anderes Stockwerk und dann noch eins. Als ich endlich einen Automaten gefunden habe, der nicht kaputt ist, und wieder zum Aufzug zurückgehe, habe ich vergessen, in welchem Stock das Büro meines Vaters ist.
Ich irre umher und suche nach irgendetwas Vertrautem, doch alle Stockwerke sehen gleich aus, und in Dads Gebäude gibt es vierzig Stockwerke. Mein Herz klopft heftig, und ich schaue immer wieder auf meine Digitaluhr. Bald sind fast zwei Stunden vergangen. Ich stelle mir vor, wie wütend Dad sein muss und wie er alle anderen nach mir suchen lässt.
Ich bemühe mich so verzweifelt, sein Büro zu finden, dass ich buchstäblich durch jeden Stock renne, in dem ich aussteige. Irgendwann wird eine Sekretärin endlich auf mich aufmerksam und fragt, ob ich mich verlaufen habe. Ich sage ihr, wer mein Vater ist, und sie b ringt mich zurück in Dads Büro. Als ich verschwitzt und verheult eintrete, blickt Dad auf.
»Hast du dir einen Snack geholt?«
Da wird mir klar, dass er gar nicht gemerkt hat, wie lange ich weg war.
»Du hast mich nicht mal gesucht!«, schreie ich. »Ich hab mich verlaufen, und du hast mich nicht mal gesucht! Ich hasse dich!«
Dad sieht die Sekretärin an. Sein Gesicht wird knallrot. Er steht ganz langsam auf, begleitet sie aus dem Zimmer, macht die Tür zu und kommt auf mich zu.
»Mach so etwas nie wieder«, sagt er.
An diesem Abend gehe ich Tante Pete aus dem Weg, was nicht einfach ist, weil er aufräumt. Na ja, nicht wirklich. Er trägt einen Haufen Zeug von einem Ende des Mobilheims zum anderen. Dabei trampelt er laut herum, lässt gelegentlich etwas fallen und murmelt in seinen Bart, dass er sich nicht dazu eignet, auf andere aufzupassen.
Ich warte auf die Mitteilung, dass ich nach Nevada geschickt werde. Mein Magen rumort, und ich bekomme kaum Luft. Gegen sechs Uhr reißt Pete schließlich die Tür zu meinem Zimmer auf.
»Ich will mit dir reden«, sagt er.
Mein Herz fängt an zu hämmern, und ich frage mich, ob man im Alter von siebzehn Jahren einen Herzinfarkt kriegen kann.
Er räuspert sich.
»Die Jungs kommen heute Abend zum Proben vorbei. Seit du hier bist, haben wir keine Musik mehr gemacht, aber normalerweise proben wir jeden zweiten Dienstag. Ich achte ziemlich streng darauf, dass das eingehalten wird, also wirst du es erdulden müssen.«
Er funkelt mich wütend an. »Ich weiß zwar nicht, was du vonunserer Art von Rock’n’roll hältst, aber ich will keine dummen Witze über unsere Musik hören. Keine Kommentare über Oldies. Kein Kichern. Wenn wir uns für einen Gig verkleiden, möchte ich keine ausgeleierten Sprüche über unsere Aufmachung – oder über Männer mit Make-up hören. Das gehört zum Glam Rock dazu, und ich liebe das ganze Drumherum. Hast du verstanden?«
Ich starre ihn mit offenem Mund an. Ist das alles?
»Keine Beschwerden«, sagt Pete, als ich nichts erwidere. »Wenn ich mich schon mit deinem Mist rumärgern muss, dann musst du auch meinen ertragen.«
Ich liege auf meinem Bett und höre zu, wie die Jungs eintreffen, und weil ich nicht zur Ruhe komme, rufe ich schließlich meine Eltern an und hinterlasse eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter. Das meiste davon ist zwar gelogen, aber schließlich muss ich sie daran erinnern, dass es mich gibt.
»Hi, ich bin’s. Ich wollte euch bloß sagen, dass ich mich hier gut mache. Was ich meine ... ich mache mich gut . Und ... äh ... ich habe heute einen Job gefunden. Jedenfalls beinahe. Ich habe ein Jobangebot bekommen. In der Schule mache ich fleißig mit. Dad, du wärst stolz auf mich. Ich bin auch nicht mehr so beliebt. Ich bin dabei, neue Freunde zu finden ... na ja, einige wenige ... und ich mache keinen Ärger, und bald –«
Der Anrufbeantworter fängt an, laut zu pfeifen.
Bescheuert . Das klang total bescheuert.
Ich lasse mich wieder aufs Bett
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