Voll daneben
dran!«
Ich folge der Stimme über den Flur zu seinem Zimmer. Pete steht vor dem Spiegel und legt Lidschatten auf. Er trägt eine schwarze Stretchhose, einen langen silbernen Smoking mit Rockschößen, Plateaustiefel und eine weiße Federboa.
»Du bist spät dran«, wiederholt er, als ich im Türrahmen auftauche. Ich runzle die Stirn.
»Und du trägst ... das da.«
Tante Pete sieht mich giftig an.
»Glitter tritt heute Abend auf. Auf einer Privatparty draußen in Stonykill. Die Party ist im Stil der Siebziger. Lenk nicht vom Thema ab. Wo warst du?«
Ich setze mich auf sein Bett. Ich überlege, ob ich lügen soll, aber dazu bin ich zu müde.
»Nachsitzen.«
»Wegen was?!«
»Orlando hat mich nachsitzen lassen, weil ihm mein Aufsatz nicht gefallen hat.«
» Orlando hat dich nachsitzen lassen?«
Ich nicke. »Es war ungerecht. Ich habe einen guten Aufsatz geschrieben – er ist sogar viel länger, als Orlando verlangt hat –,und dann hat er mir gesagt, ich solle ihn noch mal neu schreiben. Völlig grundlos.«
Tante Pete unterbricht das, was er gerade tut, und kratzt sich am Kinn.
»Grundlos, was? Hast du ihm gesagt, dass du es ungerecht findest?«
Ich verziehe das Gesicht. »Ja. Aber das hat auch nichts genützt. Es ist egal, was ich finde. Ich soll tun, was er will, egal was es ist. Ich hasse Orlando.«
Tante Pete wirft mir einen Blick zu.
»Sei vorsichtig«, sagt er bissig. »Immerhin ist es mein Freund, über den du dich gerade auslässt.«
Da hat er wohl nicht ganz unrecht. Ich lasse mich nach hinten aufs Bett fallen. »Okay. Vielleicht hasse ich ihn nicht gerade, aber es war trotzdem nicht fair. Ich sag dir, ich habe fünf Seiten geschrieben. Er hat gesagt, wir bräuchten bloß zwei zu schreiben, aber ich hab fünf abgeliefert.«
Tante Pete gluckst. »Ist ja gut. Ich glaube dir. Ich sage nicht, dass Orlando vollkommen ist. Es war bestimmt ein großartiger Aufsatz, und deine Schreibfähigkeiten wurden zu Unrecht niedergemacht. Und da ich ein liebevoller Onkel bin, werde ich morgen in eben dieser Aufmachung in die Schule gehen und in deinem Interesse so lange protestieren, bis ...«
Ich versuche, ernst zu bleiben, aber ich muss lachen. Dann starre ich an die Decke.
»Das ist genau das, was Mom auch tun würde«, sage ich nach einer Weile. »Ich meine nicht das Protestieren«, füge ich hinzu. »Sondern dass sie mich zum Lachen bringen würde, genau wie du.«
Tante Pete legt den Lippenstift hin, den er soeben aus der Schublade geholt hat.
»Tatsächlich? Das würde Sarah tun?«
Ich nicke.
»Ja«, sage ich. »Du bist als Elternteil gar nicht so schlecht, wie du glaubst.«
Tante Pete grinst, und ich setze mich auf. Eigentlich wollte ich nichts sagen, aber ich kann es einfach nicht länger mitansehen.
»Aber im Schminken bist du gar nicht gut.« Ich nehme ihm den Lippenstift aus der Hand. »Ich dachte, du machst das schon ewig.«
Er zuckt bloß die Achseln.
»Ja«, sagt er. »Ich mache das schon ewig schlecht. Schließlich gibt es nicht unbedingt Schminkkurse für Männer.«
Prüfend sehe ich mir sein Make-up an.
»Na ja«, sage ich, »offensichtlich versuchst du ... äh ... grell zu wirken.« Ich halte inne. »Trotzdem ist weniger mehr, und das Outfit drückt genug aus.« Ich hole ein Papiertaschentuch heraus und wische einen Großteil des Make-ups ab, das Tante Pete aufgetragen hat. Dann fange ich an, ihn genauso zu schminken, wie ich es schon tausend Mal bei Mom gesehen habe.
»Warum tust du das eigentlich?«, frage ich nach einer Minute, während ich einen schwungvollen Lidstrich setze. Tante Pete folgt meiner Hand mit den Augen.
»Willst du das wirklich wissen?«
Ich nicke.
»Aus Dekadenz«, sagt Tante Pete nach einer Weile. »Kunst, Glamour, das Theater ... Eigentlich unterscheidet es sich gar nicht so sehr vom Modeln. Man geht auf die Bühne und setzt sich in Pose. Außerdem fühle ich mich gut, wenn ich mich verkleide, und normalerweise machen Männer diese Erfahrung nicht. Aber warum sollten wir das nicht auch können?«
Ich zeichne eine dunkelrote Linie quer über Tante Petes Augenlid.
»Macht es dir denn nichts aus, dass die Leute es nicht verstehen?«
Pete setzt an, den Kopf zu schütteln, aber dann erinnert er sich noch rechtzeitig, dass er stillhalten muss.
»Nein«, sagt er. »Wenn man weiß, was man will, ist es egal, wie andere darüber denken. Außerdem ist es eine Herausforderung für die Leute, wenn sie sich unbehaglich fühlen. Glam überschreitet die Grenzen.
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