Voll gebissen
alle Vorkehrungen getroffen. Hatte Wasser hingestellt und das Wolfskraut gut sichtbar auf den Tisch gelegt. Wie ich im Nachhinein erfahren hatte, diente das Kraut gar nicht dazu, die Schmerzen zu lindern. Es sorgte lediglich dafür, dass die Verwandlung schneller vonstattenging und ich dadurch die Schmerzen nur alle auf einmal hatte, anstatt über einen längeren Zeitraum verteilt. Beruhigend, nicht wahr?
Ich zappte mich durch die Programm e, doch es kam nur Blödsinn, also setzte ich mich vors Fenster und starrte in den Himmel. Wo Liam jetzt wohl war? Ob er an mich dachte? Ob er sich Sorgen machte?
Gedankenversunken registrierte ich plötzlich, dass der Mond aufging. Schnell lief ich zum Couchtisch und angelte die Blätter herbei. Wenn ich sie von Anfang an nehmen wü rde, hätte ich bestimmt größere Schmerzen, doch sie würden sich nicht so elendig lang und qualvoll in die Länge ziehen.
Ich setzte mich wieder vors Fenster und wartete.
Und wartete …
U nd wartete …
Der Mond stand mittlerweile hoch am Himmel, doch nichts geschah. Nanu? Verwirrt lief ich herum, doch alle meine Körperteile funktionierten tadellos. Da war kein Stechen, kein Ziehen und schon gar kein Knacken. Ich ging zu einem Spiegel und betrachtete mich ausgiebig. Auch da sah alles normal aus. Ob mein Super-Wolf-Modus kaputt war?
Plötzlich hörte ich ein leises Scharren vor der Haustür, dann ein Kurren. Oh Scheiße! Das musste Amilia sein! Ich konnte ihr doch nicht als Mensch gegenübertreten! Vermu tlich würde sie mich eiskalt umlegen, irgendwo im Wald verscharren und dann behaupten, ich hätte mich aus dem Staub gemacht.
Nervös hielt ich die Luft an. Bloß keine unbedachten Geräusche machen. Wieder ein Schnüffeln unten am Tü rschlitz. Ein tiefes Einatmen. Sie wusste, dass ich hier war. Ein Heulen ertönte. Ich überlegte, was ich tun sollte. Darauf verlassen, dass sie von selbst wieder verschwand? Oder hingehen und mit ihr reden?
Das Scharren an der Tür wurde kräftiger. Ok, ich würde hingehen und mit ihr reden. Angeblich behielt sie ja ihren menschlichen Verstand. Dann müsste sie ja auch kapieren, was ich ihr sagen würde.
Ich stellte mich also vor die Haustür und rief: „Amilia? Ich binʼs, Emma. Ähm …“, aber was um alles in der Welt sollte ich ihr sagen? Wir müssen unsere Konferenz vertagen? „Du, hör mal. Bei mir ist etwas schief gelaufen. Ich bin immer noch in Menschengestalt. Ich kann nicht rauskommen.“
Das Scharren hörte auf und auch das Schnüffeln verschwand. Erleichert ließ ich mich gegen die Tür sinken. Sie hatte verstanden. Ich legte meinen Kopf gegen die Tür, als dieser durch einen lauten Aufprall wieder zurückgeschleudert wurde. Verdammt! Was war das? Wieder ein Rumsen gegen die Haustür. Sie bog sich leicht nach innen durch, federte aber wieder zurück. Es war, als würde sich irgendjemand mit voller Wucht dagegen werfen. Irgendjemand? Oder irgendwas?
„Amilia? Was tust du da?“, rief ich erneut, doch zu dem Sich-gegen-die-Haustür-werfen kam nun noch ein Knurren hinzu. So langsam bekam ich Angst. Sie wollte wirklich hier rein!
Ich zog eine Kommode vor die Tür, in der Hoffnung, dass diese das Ganze etwas stabilisieren würde, dann rannte ich hektisch zu den Fenstern und verschloss diese so gut es ging. Selbst die Fensterläden machte ich zu und dabei fiel mir auf, dass der Wolf, der sich gerade an der Tür zu schaffen machte, überhaupt nicht blond war. Wenn Liams Fell dunkelbraun war und meins straßenköterblond wurde, dann hätte Amilias doch hell sein müssen, oder?
Vor der Tür stand jedoch ein großer schwarzer Wolf, der immer wieder mit dem Schädel gegen die Tür schlug. Und wenn das gar nicht Amilia war? Sondern der Wolf, der mich bereits schon mal gebissen hatte? Mir wurde schwindelig. Voller Angst rannte ich in das Schlafzimmer, welches am weitesten von der Eingangstür weg war und verkroch mich dort in der hintersten Ecke.
Oh , bitte bitte, lass das Vieh wieder verschwinden!, betete ich inständig vor mich hin und bei jedem Schlag, den der Wolf gegen die Tür machte, zuckte ich zusammen.
Ich hatte solche Panik! Was sollte ich tun, wenn er den Weg hierein fand? Würde er mich töten? Oder sogar fressen? Diesmal war kein Liam da, der mir helfen konnte.
Ein erneuter Aufprall und die Tür flog aus den Angeln. Ich hörte die Krallen auf dem Holzboden klacken, während sich der Werwolf mir näherte. Ich zitterte am ganzen Körper und hoffte immer noch, dass er einfach
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