Voll im Bilde
schön. Aber wie wollt ihr den Rollstuhl über die Mauer schaffen, wenn ich fragen darf?«
Die Zauberer betrachteten Poons Rollstuhl.
Manche Rollstühle sind leicht und so konstruiert, daß sie es ihren Benutzern gestatten, sich in der modernen Gesellschaft unabhängig zu bewegen. Im Vergleich mit der von Poons bewohnten Vorrichtung waren sie wie Gazellen neben einem Nilpferd. Windle Poons legte nicht den geringsten Wert auf Unabhängigkeit in der modernen Gesellschaft; er zog es vor, geschoben zu werden und seine Wünsche von anderen Leuten erfüllen zu lassen.
Das Ding war breit und lang. Gesteuert wurde es mit Hilfe eines kleinen Rads ganz vorn und einer langen gußeisernen Stange. Gußeisen bildete überhaupt den primären Bestandteil dieses Rollstuhls. Barocke Verzierungen aus Eisen schmückten ein Gestell, das aus zusammengeschweißten eisernen Abflußrohren hergestellt zu sein schien, und zwei massive Stahlscheiben bildeten die Hinterräder. Hier und dort ragten seltsame Hebel auf, deren Zweck nur Poons kannte. Innerhalb weniger Stunden konnte ein großes Verdeck aus Ölzeug nach vorn geschoben werden, um den Passagier vor Regen und Hagel zu schützen, vermutlich auch vor Meteoriten und einstürzenden Gebäuden. Am vorderen Griff waren mehrere Tröten, Hupen, Sirenen und Pfeifen angebracht, und Poons benutzte sie, um seinen Kurs durch die Korridore und Flure der Unsichtbaren Universität akustisch zu markieren. Zwar konnte der Rollstuhl nur von einem besonders kräftigen Mann in Bewegung gesetzt werden, aber wenn er erst einmal rollte, zeichnete er sich durch eine Art schwerfälliger Unaufhaltsamkeit aus – vielleicht verfügte er über Bremsen, doch Windle Poons hatte nie versucht, sie zu benutzen. Das Lehrpersonal sowie die Studenten wußten: Wenn sie in der Nähe lautes Hupen hörten, so konnten sie sich nur dann eine Überlebenschance erhoffen, wenn sie sich so dicht wie möglich an die Wand preßten, während das gräßliche Etwas vorbeidonnerte.
»Wir kriegen den Apparat nie auf die andere Seite«, sagte der Dekan fest. »Wiegt mindestens eine Tonne. Wir sollten Poons ohnehin hierlassen. Er ist zu alt für so etwas.«
»Als junger Bursche bin ich jeden Abend über die Mauer, ähm, geklettert«, erwiderte Windle Poons verärgert. Dann kicherte er. »Manchmal gerieten wir ganz schön in die Klemme. Häufig hat uns die Nachtwache bis zur Universität, ähm, verfolgt. Wenn ich jeweils, äh, einen Cent dafür bekäme…« Seine Lippen bewegten sich stumm, als er rasch rechnete. »Dann hätte ich fünfeinhalb Cents.«
»Vielleicht könnten wir…«, begann der Professor und unterbrach sich. »Wieso fünf einhalb Cents?«
»Einmal gab die Nachtwache auf halbem Wege auf«, erklärte Poons gutgelaunt. »Ach, das waren noch Zeiten… Erinnere mich genau daran. Numeri Riktor, Tudgy Spold und ich sind einmal auf den Tempel der Geringen Götter geklettert, während einer Andacht, und Tudgy hatte ein Ferkel im Sack, und er…«
»Na bitte«, klagte der Dozent für neue Runen. »Jetzt hast du dafür gesorgt, daß er zu erzählen anfängt.«
»Wir könnten versuchen, das Ding mit Magie auf die andere Seite zu bringen«, schlug der Professor vor. »Gindels Müheloser Heber sollte dazu in der Lage sein.«
»… und dann drehte sich der Hohepriester um, und sein Gesichtsausdruck – haha! Und dann meinte Numeri…«
»Unter würdevollem Einsatz von Magie stelle ich mir eigentlich etwas anderes vor«, schniefte der Dekan.
»Ich finde es immer noch würdevoller, als den verdammten Rollstuhl mit Muskelkraft über die Mauer zu bringen«, erwiderte der Dozent für neue Runen. Er rollte sich die Ärmel hoch. »Also los, Jungs.«
»… und dann klopfte Pickel an die Tür der Assassinengilde, und der alte Niedertracht arbeitete dort als Pförtner, haha, alle hatten Angst vor ihm, und er trat nach draußen, ähm, und dann kam die Nachtwache um die Ecke…«
»Alles klar? In Ord nung!«
»… was mich an jene Gelegenheit erinnert, als Gurke Framer Leim holte, und dann gingen wir…«
»Jetzt bist du dran, Dekan!«
Die Zauberer stöhnten vor Anstrengung.
»… meine Güte, ähm, mir kommt es vor wie gestern, ihr hättet sein Gesicht sehen sollen, als…«
»Und jetzt vorsichtig nach unten!«
Die stählernen Räder berührten das Kopfsteinpflaster der Gasse.
Poons nickte und grinste. »Eine tolle Zeit, eine tolle Zeit«, murmelte er und schlief ein.
Die Zauberer kletterten langsam und unsicher über die Mauer,
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