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Voll im Bilde

Voll im Bilde

Titel: Voll im Bilde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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hinzu, das ihm ein recht komfortables Leben ermöglichte. Natürlich durfte er sich kein Prestige erhoffen, aber wenigstens lebte er, um das zu wissen.
    Aufgrund dieser Erkenntnisse hatte Victor ziemlich viel geistige Energie darauf verwendet, die Klauseln des Testaments zu prüfen und sich mit den überaus komplexen Prüfungsvorschriften der Unsichtbaren Universität zu beschäftigen. Darüber hinaus machte er sich mit den Prüfungsunterlagen der letzten fünfzig Jahre vertraut.
    Man mußte mindestens 88 Punkte erzielen, um zu bestehen.
    Das Durchfallen war einfach. Jeder Narr konnte durchfallen.
    Victors Onkel war kein Narr gewesen. Eine der testamentarischen Bedingungen lautete: Wenn Tugelbend jemals weniger als 80 Punkte bekam, trocknete seine Geldquelle ebenso schnell wie Spucke auf einem heißen Ofen.
    In gewisser Weise hatte er sein Ziel erreicht. Es gab keinen anderen Studenten, der so hingebungsvoll studierte wie Victor. Es hieß, sein magisches Wissen übertreffe sogar das einiger der besten Zauberer. Stundenlang saß er in der Bibliothek und las Grimoires. Er befaßte sich mit Prüfungstechniken und fand heraus, wie man Antworten die richtige Formulierungsstruktur gab. Er hörte den Vorlesungen so oft zu, daß er sie schließlich auswendig kannte. Das Lehrerkollegium hielt ihn für den klügsten und fleißigsten Schüler seit Jahrzehnten. Und bei jeder Abschlußprüfung schaffte er es mit kompetentem Geschick, 84 Punkte zu erhalten.
    Es war unheimlich.
     
    Der Erzkanzler las die letzte Seite.
    »Hm«, sagte er schließlich. »Ich verstehe. Du hast Mitleid mit dem Jungen, wie?«
    »Ich glaube, dir ist noch nicht ganz klar, worauf ich hinauswill«, erwiderte der Quästor.
    »Liegt doch auf der Hand«, brummte Ridcully. »Der Bursche besteht immer nur fast.« Er hob ein Blatt. »Wie dem auch sei: Hier steht, daß es ihm vor drei Jahren gelang, die Hürde der Abschlußprüfung zu überwinden. Mit 91 Punkten.«
    »Ja, Herr. Aber er erhob Einspruch.«
    »Er erhob Einspruch? Gegen die bestandene Prüfung?«
    »Er meinte, offenbar hätten die Prüfer übersehen, daß er bei Frage sechs die falschen Allotrope fürs Oktiron nannte. Er fügte hinzu, es sei den besseren und würdigeren Studenten gegenüber nicht fair, ihn zum Zauberer zu ernennen, obgleich ihm die notwendige Anzahl von Punkten fehlte. Angeblich wollte er sich nicht für den Rest seines Lebens mit einem schlechten Gewissen belasten. Wie du siehst, bekam er bei den nächsten beiden Abschlußprüfungen nur 82 und 83 Punkte.«
    »Warum?«
    »Ich glaube, er wollte auf Nummer Sicher gehen.«
    Die Finger des Erzkanzlers klopften auf den Schreibtisch.
    »Ich kann es nicht erlauben«, sagte er. »Ich kann auf keinen Fall erlauben, daß hier ein Fast -Zauberer herumläuft und lacht, weil… weil… Warum sollte er lachen?«
    »Das finde ich auch«, schnurrte der Quästor.
    »Wir nehmen ihn auf den Arm«, sagte der Erzkanzler fest.
    »Tritt«, entgegnete der Quästor. »Wir geben ihm einen Tritt. Ihn auf den Arm zu nehmen… Es würde bedeuten, ihn zu verspotten.«
    »Verspotten, ja. Guter Vorschlag. Ich bin einverstanden.«
    »Nein, Herr«, sagte der Quästor mit erzwungener Geduld. »Er nimmt uns auf den Arm, und deshalb geben wir ihm einen Tritt.«
    »Gut«, ließ sich der Erzkanzler vernehmen. »Schafft einen gewissen Ausgleich.« Der Quästor rollte mit den Augen. »Nun, du möchtest also, daß ich ihm den Marschbefehl gebe, wie?« fuhr Ridcully fort. »Wir setzen den Burschen bei Nacht und Nebel vor die Tür…«
    »Nein, Herr. Das können wir nicht machen.«
    »Das können wir nicht? Ich dachte, wir geben hier die Anweisungen.«
    »Ja, aber man muß sehr vorsichtig sein, wenn es um den jungen Meister Tugelbend geht. Er kennt sich mit den Vorschriften aus, sogar noch besser als einige von uns. Nun, morgen findet wieder eine Abschlußprüfung statt, und wir sollten ihm diesen Prüfungsbogen geben.«
    Der Erzkanzler nahm das Dokument entgegen, und seine Lippen bewegten sich stumm, als er las.
    »Nur eine Frage?«
    »Ja. Entweder besteht er, oder er fällt durch. Diesmal dürfte es ihm sehr schwer fallen, nur vierundachtzig Prozent zu schaffen.«
     
    Auf eine Weise, die seinen Tutoren zu ihrem großen Verdruß rätselhaft blieb, war Victor Tugelbend nicht nur ein kluger und fleißiger Student, sondern auch die faulste Person in der ganzen Geschichte der Scheibenwelt.
    Bei ihm handelte es sich nicht um schlichte, gewöhnliche Faulheit. Schlichte und

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