Voll Speed: Roman (German Edition)
und ich stehen auf und schlendern unauffällig zu ihm hinunter.
»Du kommst vier Stunden zu spät«, stellt mein Bruder fest.
Phil übergeht seine Bemerkung: »An dem Tag, an dem ich mich von einem Erdmännchen anpiepsen lasse, sitze ich im Rollstuhl und esse durch einen Strohhalm, klar?«
Rufus würde gerne etwas erwidern, doch er merkt, dass jetzt Ball flach halten angesagt ist.
Ich versuche, die Situation etwas aufzulockern: »Hey, Partner, wie läuft’s?« Das ist es, was wir sind, seit wir letzten Sommer gemeinsam einen ziemlich krassen Fall im Zoo aufgeklärt haben: Partner. Phil und ich.
»Wie es so läuft? Ich komme zurecht, würde ich sagen – solange ich nicht von einem Erdmännchen angepiepst werde.«
Relativ angespannt, der Gute, wie es scheint. Dabei dachte ich in letzter Zeit, dass er sich ganz gut gefangen hätte.
»Ist okay, Mann«, sage ich und warte, bis ein Touristenpärchen in Regenkombi vorbeigeschlendert ist. »Kommt nicht wieder vor. Es war nur, weil …« Ich will ihn ein bisschen auf die Folter spannen. »Also …«
»Also?«
»Wir haben eine Information, die dich interessieren könnte.«
Entgegen meiner Hoffnung sieht Phil alles andere als neugierig aus. Oder euphorisch. Oder inspiriert. Eher skeptisch bis ablehnend. Statt zu antworten, wartet er ab. Als fürchte er, nicht hören zu wollen, was ich ihm zu sagen habe.
Ich blicke mich um, trete direkt an den Zaun und winke ihn zu mir herunter. Missmutig beugt er sich herab.
»Wir haben …«, setze ich an.
»Ihr habt …«
»Wir haben etwas gefunden …«
»Hm.«
»Rufus und ich.«
»Is nich wahr.«
Ich lege die Klaue ans Maul: »Eine Leiche.«
Phil richtet sich auf, als trage er eine unsichtbare Last auf den Schultern. Schweigt. Lange. Sucht mit seinen traurigen blauen Augen den Horizont ab, als sei ihm sein Pferd verlorengegangen.
»Das letzte Mal, als ihr eine Leiche ausgegraben habt«, beginnt er, als müsse er erst noch finden, was er sagen will, »hatten wir es am Ende mit vier Leichen zu tun, einem entflohenen Weißkopf-Seeadler, einer Explosion, die das halbe Elefantengehege zerstört hat …«
Ich rieche eine Spur Single-Malt-Whiskey in seinem Atem. Wobei »Spur« untertrieben ist. Landstraße träfe es besser. Klares Zeichen dafür, dass Phil mal wieder deprimäßig unterwegs ist. Der Mann braucht eine Aufgabe, denke ich. Eine, die ihn von sich selbst ablenkt. Wie gut, dass er mich hat.
Endlich richtet Phil seinen müden Blick auf mich. »Wo habt ihr sie denn diesmal ausgegraben?«, fragt er.
»Keine Sorge«, frohlocke ich, »diesmal liegt sie nicht im Zoo. Und sie ist ganz frisch. Maximal zwei Tage alt, würde ich sagen.«
Seine Pupillen verengen sich: »Hast du gerade gesagt, die Leiche liegt nicht im Zoo?«
»Korrekt.«
Er sucht nach etwas, um seiner Verwunderung Ausdruck zu verleihen, wird aber von zwei älteren Damen unterbrochen, die eine Horde Enkel im Schlepptau haben. Geschlossen treten sie an unser Gehege.
»Schaut mal, sind die Streifenhörnchen nicht süß?«, fragt eine der beiden Damen. Ihre Brillengläser sind so dick, dass ihre Augen aussehen wie die einer Waldohreule.
»Das da vorne ist mies«, meint ihr Enkel, der in seinem Kapuzensweatshirt praktischerweise auch gleich überwintern könnte.
Gemeint ist übrigens Natalie, die die zusätzliche Aufmerksamkeit genießt und sich so hinräkelt, dass jeder ihren entblößten Hintern sehen kann. Rufus senkt den Blick, während Andi, der die Fenneks beobachten soll, gleich von seinem Aussichtspunkt fällt.
»Kann ich das haben?«, fragt eins der Mädchen.
»Das ist nicht zum Spielen«, stellt die zweite Oma klar. »Außerdem würdet ihr es doch nur wieder kaputtmachen, und nach drei Tagen liegt es in der Ecke rum.«
Was hierauf folgt, ist eine hitzige Diskussion zwischen den Omis und ihren Enkeln, die eigentlich nur eine Frage zum Thema hat: Wer von den Bälgern darf wen von uns mit nach Hause nehmen?
Der Junge mit dem Kapuzenshirt muss nicht lange überlegen. »Ich nehm das da«, entscheidet er und deutet auf mich.
»Zeig noch mal mit dem ausgestreckten Finger auf mich«, rufe ich, »und du kriegst deine Kapuze zu fressen!«
Zum ersten Mal am heutigen Tag zeigt sich ein Schmunzeln auf Phils Gesicht.
»Und du brauchst gar nicht so zu grinsen!«, ermahne ich ihn.
»Hör mal, wie das quiiekt!«, ruft ein Mädchen und meint mich. »Süüüüß!«
Während mein Partner die Hände in die Taschen seines Sakkos steckt und zwei
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