Voll Speed: Roman (German Edition)
Schritte zurücktritt, laufen die Enkel zur Hochform auf.
»Ich nehm das Streifenhörnchen da!«, sagt eines der Mädchen und deutet auf Rufus. »Aber nur, wenn es auch so süß quietscht.«
»Ich quietsche nicht nur, du dümmliches Geschöpf«, erwidert Rufus, »im Gegensatz zu dir kann ich auch lesen. Und da vorne auf dem Schild steht, dass in diesem Gehege Erdmännchen zu Hause sind.«
»Es quiekt!« Das Mädchen klatscht vor Begeisterung in die Hände. »Es quiekt voll cool. Das nehm ich!«
»Phil!«, rufe ich. »Würdest du diesem Trauerspiel bitte ein Ende bereiten?«
Phil denkt nicht dran. Er steht nur da und schmunzelt, die Hände in den Taschen vergraben.
Glücklicherweise ist nicht nur meine, sondern auch Omis Geduld erschöpft. »Schluss jetzt!«, bringt sie die Kinder zur Räson. »Die Streifenhörnchen bleiben hier. Ihr kriegt Pommes.«
Die Mädchen protestieren noch kurz, spüren aber, dass die Schlacht verloren ist: »Pommes sind scheiße«, sagt das eine.
Das andere: »Ich will aber ein Streifenhörnchen!«
Nur der Junge im Kapuzensweatshirt akzeptiert sofort die Niederlage und rüstet sich bereits für den nächsten Kampf: »Kann ich Ketchup und Majo?«
Phil sieht ihnen so lange nach, bis er sicher ist, dass sie nicht zurückkommen werden. Erst dann tritt er wieder ans Gehege.
»Danke für deine Hilfe, Partner«, maule ich.
»Immer gerne, Ray«, erwidert er. »Und jetzt wüsste ich gerne, wo diese Leiche ist, von der du vorhin gesprochen hast.«
»Rufus?«, sage ich, erhalte aber keine Antwort. Als ich mich zu meinem Bruder umdrehe, ist der vollständig von Natalies gespreizten Hinterbeinen absorbiert. »Rufus!«
Er fährt zusammen: »Hier.«
»Die Leiche«, sage ich.
»Ja.«
»Wo haben wir sie gefunden?«
»Ach so, ja.« Er sieht zu Phil auf. »Also: Nach meinen Berechnungen und einer angenommenen Toleranzschwankung von plus minus zehn Prozent befindet sich die Leiche achthundertfünfzig Meter von hier in westlicher Richtung.«
So wie Phil sich jetzt umblickt, würde sogar ein Pinguin auf der Stelle erkennen, dass mein Partner Westen nicht von Süden oder Osten unterscheiden kann. Fragt man sich doch, wie die Menschheit da länger als zwei Generationen überleben konnte.
»Westen ist da, wo die Sonne unter geht«, greift ihm Rufus unter die Arme.
Bevor Phil das raushat, sieht er lieber wieder uns an: »Da drüben«, er wischt mit dem Arm über den Horizont, »liegt irgendwo seit zwei Tagen eine Leiche herum, und die soll noch keiner bemerkt haben?«
»Sie liegt da natürlich nicht einfach so herum«, sagt Rufus.
»Sie liegt im Wasser«, ergänze ich, und weil Phil echt bemitleidenswert begriffsstutzig aussieht: »In der Kanalisation.«
Phil begreift es trotzdem nicht: »Sie liegt in der Kanalisation?«
»Die verläuft unterirdisch«, erklärt Rufus, »das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb sie noch nicht …«
»Ich weiß, dass die Kanalisation unterirdisch verläuft«, zischt Phil. »Was ich mich frage, ist: Seit wann unternehmt ihr Ausflüge in die Kanalisation, die euch so weit vom Zoo wegführen, dass ihr in einem Kilometer Entfernung eine Leiche aufstöbern könnt?«
»Achthundertfünfzig Meter«, präzisiert Rufus. »Ach so: Und diese Ausflüge unternehmen wir, seit wir über ein Motorboot verfügen.«
»Ihr habt ein Motor –« Phil unterbricht sich selbst. Sein Verdacht, nicht hören zu wollen, was wir ihm zu sagen haben, scheint sich bestätigt zu haben. Er atmet hörbar aus und lässt seinen Blick in die Ferne schweifen. Nach Norden. Langsam glaube ich, ohne mich wäre mein Partner komplett aufgeschmissen.
Wir warten an der Tunnelgabelung bei der Leiche. Mit laufendem Motor. Das Rattenintermezzo von heute früh wirkt noch nach. Komisches Gefühl, so neben einem im Wasser liegenden Toten zu sitzen. Hat ja schließlich mal gelebt, vielleicht einem eigenen Clan angehört, Junge gehabt, die sich jetzt alleine durchschlagen müssen. Im Grunde, das habe ich inzwischen gelernt, unterscheiden sich Menschen in ihrem Sozialverhalten nicht sonderlich von uns, außer dass ihre Clans kleiner sind. Und dass es mehr Ausgestoßene und Einzelgänger wie zum Beispiel Phil gibt.
Rufus glaubt, ziemlich genau zu wissen, wo wir uns befinden: Hardenbergstraße, Ecke Steinplatz. Und er hat herausgefunden, dass es auf dem Steinplatz einen versteckt gelegenen Gully gibt, durch den Phil unbemerkt in die Kanalisation gelangen kann. Von da muss er in südöstlicher Richtung bis
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