Voll Speed: Roman (German Edition)
Leiche entdeckt, die sich als Ex-Partner …«
»Unser Fall!«, rufe ich.
Und schon bin ich aus der Tasche gesprungen, an Rufus vorbeigelaufen, habe den Ostausgang passiert und schlendere lässig zum Zaun hinunter. Nix wie raus hier. »Hey, Partner«, rufe ich Phil zu, »Neuigkeiten im Fall Boris Kaufmann?«
Phils Anblick nimmt mir den eben erst aufgekommenen Wind direkt wieder aus den Segeln. Er trägt das sandfarbene Leinensakko, das er den ganzen Sommer über angehabt hat. Als hätte er kein anderes. Dabei schmeckt die Luft heute Morgen bereits nach Herbstlaub, und der Tau überzieht die Spinnweben mit einer Silberhaut – wo die von der Evolution im Stich gelassenen Menschen doch immer so leicht frieren. Wie Phil jetzt. Er friert und merkt es nicht einmal. Sieht so was von müde aus, dass mir vom Hinsehen bereits ganz schummrig wird. Ich erinnere mich daran, dass Boris Kaufmann sein Ex-Partner war, ja, sogar mehr als das, wie er gestern bemerkte. Und dann weiß ich: Mein Partner hat die ganze Nacht kein Auge zugetan und seit heute Morgen eine Flasche Single Malt weniger in seinem Regal.
»Ernie hat angerufen«, gurgelt es aus seiner Kehle. »Ernst Wandlitz.«
»Ernst Wandlitz?«
»Ein Kommissar im Morddezernat«, klärt mich Phil auf. »Wir kennen uns von früher.« Seine Gedanken verlieren sich zwischen den Gehegen, statten den Fenneks einen Besuch ab, umkreisen das Hühnerhaus und kehren träge zu ihm zurück. »Wollte wissen, ob ich in letzter Zeit etwas von Boris gehört hätte. Wir wären ja schließlich mal Partner gewesen …«
Rufus taucht neben mir auf und zischt mir missbilligend zu, dass meine Unpässlichkeit offenbar eher kurzfristiger Natur gewesen sei.
Ich ignoriere ihn und wende mich an meinen Partner: »Und was hast du Ernie geantwortet?«, will ich wissen.
»Ich konnte keinen Grund finden, ihm nicht die Wahrheit zu sagen.«
»Und die ist?«
»Dass ich in letzter Zeit nichts von Boris gehört habe.«
»Hm. Und dann?«
»Dann hat er mich über den Leichenfund informiert und sich mit mir zum Mittagessen verabredet.«
»Und da gehen wir jetzt hin?«, frage ich hoffnungsvoll.
Phil verzieht seine Mundwinkel zu etwas, das ich als Zustimmung deute. »Aber vorher fahren wir bei Starbucks vorbei. Ich hatte heute Morgen noch keinen Kaffee.«
»Politisch korrekt ist das aber nicht«, wirft Rufus ein.
Phil und ich sehen ihn an.
»Starbucks«, erklärt er. »Die machen Knebelverträge mit ihren Kaffeebauern. Weiß man doch …«
Phils traurige blaue Augen werden von einem zusätzlichen Schuss Desillusion getrübt. »Dass ich mir mal von einem Erdmännchen erzählen lassen würde, wo ich meinen Kaffee trinken darf …«
Mein Partner blickt sich um, nimmt seine Umhängetasche und hält sie über den Zaun. Bevor ich hineinklettere, drehe ich mich noch einmal zu Rufus: »Bevor ich’s vergesse: Kong meint, hinter der Sache mit Nick könnten die Fenneks stecken. Ich glaube ja, das ist Bullshit. Aber für alle Fälle sollten wir mal das Nachbargehege im Auge behalten.«
Rufus ist wie immer dankbar, gebraucht zu werden. Wie alle, am Ende. »Ich kümmere mich darum«, versichert er, und ich weiß: Er kümmert sich darum.
Ein herbstlicher Windstoß weht durch unser Gehege, gefolgt von einem gelben Kastanienblatt, das über den Zaun segelt und zu unseren Füßen landet. Als ich aufblicke, sehe ich meinen Bruder plötzlich in einem anderen Licht. Ja, er nervt. Aber er ist mein Bruder. Natalie bescheißt ihn nach Strich und Faden, keiner versteht ihn, keiner hat ihn wirklich lieb. Er dürstet nach Zuwendung, nach Anerkennung und nach … Sex natürlich. Wie alle, am Ende. Was Letzteres betrifft: Da kann ich wenig für ihn tun.
Ich lege ihm freundschaftlich die Klaue auf die Schulter: »Danke, Rufus. Ist echt cool von dir.«
Es gibt so Tage.
Rufus macht eine abwehrende Geste. »Kein Ding.«
Im »Mendoza« riecht es nach verbranntem Fleisch, gezapftem Bier, Frittierfett und Citrus-Reiniger. Manchmal beneide ich die Menschen darum, nur so viel zu riechen, wie zum Überleben unbedingt notwendig ist. Als wir eintreffen, ist Ernie noch nicht da. Phil wählt den letzten Tisch am Fenster und platziert seine Tasche so auf dem Nachbarstuhl, dass ich durch die Seitenöffnung den Tisch überblicken kann. Dann geschieht etwas Sonderbares. Kaum hat mein Partner sich ein Mineralwasser bestellt, beginnt der Boden zu vibrieren.
Einen Moment später sagt Phil: »Hallo, Ernie.«
Ernst Wandlitz scheint in
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