Voll Speed: Roman (German Edition)
beigesetzt. Ich dachte, vielleicht willst du ja hingehen. Ich werde es nicht tun, und so, wie die Dinge liegen … Ich meine, seien wir ehrlich: Wahrscheinlich kommt am Ende keine Sau.«
»Und deshalb hast du mich getroffen«, fragt Phil, »um mir Gelegenheit zu geben, bei seiner Beerdigung dabei zu sein?«
Statt zu antworten, schiebt sich Ernie den Rest seines Steaks in den Rachen.
Wir sitzen in Phils senfgelbem Volvo auf dem Weg zum Savignyplatz und lassen, jeder für sich, das Gespräch mit Ernst Wandlitz Revue passieren. Ich könnte Phil sagen, dass er nicht an Ernies Version glaubt. Aber das weiß er selbst. Außerdem beschäftigt mich ein anderer Gedanke.
»Weshalb habt ihr euch eigentlich getrennt – du und Boris?«
»Das willst du nicht wissen.«
»Will ich wohl.«
»Nein, willst du nicht.«
Ich verdrehe genervt den Kopf: »Manchmal redest du wie Kong.« Ich schraube meine Stimme zwei Oktaven nach unten: » ›Nein, willst du nicht.‹ «
»Und?«
» ›Und?‹ «, mache ich ihn nach. »Dann sag mir doch lieber gleich, dass es mit dem Weibchen zu tun hat, weshalb ich es nicht wissen will.«
»Was für ein Weibchen?«, fragt Phil.
Seine Stimmbänder spannen sich wie Violinseiten. Hab dich, denke ich. Und da ich mich ohnehin gerade als Stimmimitator versuche, zitiere ich gleich noch Ernst Wandlitz: »›Du weißt ja, Phil: Erst die Geschichte mit Mirjam, dann gibt er die Detektei auf …‹«
»Wie kommst du darauf, dass Boris’ Ex-Freundin etwas mit …«
»Lass stecken, Partner. Du sagst, ich will es nicht wissen? Dann hoffe ich für dich, dass du recht hast.«
Lange Zeit schweigen wir, während Phils alter Volvo wie ein träges Insekt durch die Stadt kriecht. Ich mag das ja: in seinem Auto mitfahren. Die Sitzpolsterung riecht nach Rosshaar, da komme ich mir immer vor wie ein Cowboy auf seinem Pferd. Und seit mein Partner extra für mich die Sitzerhöhung besorgt hat, kann ich auch sehen, was um uns herum los ist. Das Einzige, woran ich mich nie gewöhnen werde, ist die bescheuerte Musik, die er immer laufen hat. Ein italienischer Schnulzensänger namens Paolo … irgendwas. Da wird aus mir als reitendem Erdmännchen-Cowboy schnell eine Italo-Western-Persiflage. Ich hab Phil gesagt, dass mich dieses selbstmitleidige Gejaule depressiv macht, aber er meint, er mag es und dass ein bisschen was Depressives mir nicht schaden kann. Schätze, diese Pille muss ich schlucken.
Wir halten hinter einem Bauwagen, der aus einer runden Öffnung qualmt wie eine Dampflok. Ich krieche in Phils Tasche, werde über die Schulter gehängt und ein paar Meter den Bürgersteig hinuntergetragen. Die Baustelle, wie Ernst Wandlitz sie genannt hat, befindet sich auf der Vorderseite des Wagens. Sie besteht aus einem palettengroßen Loch im Asphalt, über dem sich ein provisorisches Zelt spannt, damit es nicht hineinregnet. Drumherum ragen vier Kanthölzer aus dem Straßenbelag, die mit einem Hanfseil verbunden sind, das an einer Seite gerissen ist.
Vor dem Zelt sind zwei Männer zu sehen. Der eine ist lang und schlaksig und steht, der andere ist klein und hockt. Beide sehen aus, als müssten sie die Welt vor einem fiesen Virus retten: weiße Häubchen, weiße Ganzkörperanzüge, weiße Überschuhe. Der Kleine zieht sich gerade mit geräuschvollem Schnalzen die Latexhandschuhe von den Fingern und lässt sie in einen Metallkoffer fallen, den er anschließend zuklappt. Sein langer Kollege zieht sich inzwischen die Haube vom Kopf.
»Wir sind fertig«, ruft der Lange und nickt in Richtung des Bauwagens.
Phil und ich sind nicht die Einzigen, die die beiden beobachten. Auf der Leiter des Bauwagens sitzen zwei Arbeiter, verfolgen das Geschehen und warten darauf, an ihrem Loch weiterbuddeln zu können. Jeder von ihnen hält einen dampfenden Plastikbecher in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Ich betrachte die Szene und überlege, was mein Partner wohl davon hält. Boris hätte vom Bürgersteig abkommen, durch die Absperrung in das Zelt stolpern und dort in den offenen Schacht stürzen müssen. Nicht unmöglich, aber alles andere als wahrscheinlich.
Als hätte Phil meine Gedanken gelesen, flüstert er: »So besoffen kannst du gar nicht sein.«
»Ich könnte ein bisschen herumschnüffeln«, schlage ich vor. »Vielleicht finde ich was – bevor die Arbeiter mit ihrer Zigarette und dem Kaffee fertig sind.«
Während die Männer von der Spurensicherung ihre Koffer nehmen und in ihrem ebenfalls weißen Bus
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