Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
Neustart an. Nie schaffen wir einen Neustart. Jede Stunde fängt er wieder an zu stören, und ich werde sauer oder ignoriere ihn.
Heute sehe ich mitten im Unterricht, dass er die Backen voll hat. »Mert, was hast du da im Mund?«
»Haribo.«
»Sag mal, geht’s noch? Jetzt ist Unterricht! Da wird nicht gegessen!«
Er grinst nur. Wenig später sehe ich ihn wieder kauen und nicht mitarbeiten. Und als er noch sein Trinken rausholt und genüsslich seinen Durst löscht, reicht es mir. Ich gehe hektisch an meinen Schreibtisch und setze mich hin. Dann gucke ich in meine Schultasche – eine reine Übersprungshandlung –, ich bin so genervt, dass ich gar nicht weiß, was ich machen will, und da liegt eine Klassenliste mit den Adressen und Telefonnummern der Schüler. In meiner Strickjackentasche ist mein Handy. Ich nehme es raus und sage ruhig: »Okay, Mert, dann rufe ich jetzt einfach deine Mutter an und erzähle der mal, wie du dich hier benimmst.« Die Klasse hält den Atem an. Ich wähle. »Lieber 1-&-1-Kunde, diese Nummer ist leider nicht vergeben.« Mist. Vielleicht habe ich mich nur verwählt. Ich versuche es noch mal und siehe da: »Efendim.« Merts Mutter meldet sich am anderen Ende der Leitung.
Ich stehe auf und gehe zur Tür: »Ja, guten Tag, hier ist Frau Freitag, die Englischlehrerin von Mert. Wir sind gerade im Unterricht, und der Mert stört den Unterricht so sehr, dass die anderen Schüler gar nicht richtig lernen können.«
Dann gehe ich vor die Tür und sage ihr, dass sie am Abend mal mit ihrem Sohn sprechen soll und dass er sich besser benehmen muss, da ich sie sonst zu einem Gespräch in die Schule bitten werde.
Als ich zurück in die Klasse komme: Totenstille. Streng und bestimmt sage ich: »Noch jemand Bedarf nach einem Elterngespräch heute Abend?« Hat wohl niemand, denn der Rest der Stunde läuft ruhig und geordnet, bis zum Klingeln. Mert setzt noch einmal kurz zu einem Störversuch an. Ich zeige ihm mein Handy und flüstere: »Pass auf, ich drücke die Wahlwiederholung und sage deiner Mutter, dass sie kommen soll, um dich abzuholen.« Sofort ist er leise und arbeitet mit und findet sogar die richtige Seite im Buch.
Und mit »Boah, sie ist strenger als Frau Hinrich!« wird mir noch der pädagogische Ritterschlag verliehen. Vor ihrer Geschichtslehrerin haben die Siebtklässler alle Angst. Ich bin hin und weg. Endlich geschafft – so muss sich das Paradies anfühlen!
Warum macht Frau Merkel da nichts gegen?
Mein Lieblingskollege und ich gehen zum Rauchen. Dazu müssen wir den Hof überqueren. Vor der Turnhalle stehen zwei Schüler. Nebeneinander, mit dem Gesicht direkt zur Wand.
»Was machen die?«, fragt mich der Kollege. »Pissen die gegen die Wand?« Ich bin mir nicht sicher, aber dafür stehen die irgendwie zu dicht an der Wand und zu nahe beieinander. Plötzlich gehen sie auf die Knie und legen ihren Kopf in den Schnee. Hä? Yoga? Sonnengruß? Dann stehen sie wieder auf.
»Die beten«, sage ich und muss mich zurückhalten, um nicht loszukichern. Ich ziehe den Kollegen am Ärmel weiter zum Ausgang. Er faselt immer noch was von »gegen die Wand pissen«. Ich mag ihn echt gerne, aber manchmal rafft er echt nichts.
»Die beeeten! Hallooo! Muslime!«, erkläre ich ihm draußen noch mal.
Gleichzeitig frage ich mich: Dürfen die das? Dürfen die den Schulhof einfach so zum Gebetshof machen? Na ja, schlagen dürfen sie sich ja auch nicht und tun es trotzdem. Lieber beten als schlagen. Aber ein komischer Anblick. Irgendwie zu intim. Mir wäre fast lieber gewesen, sie hätten nur gegen die Wand uriniert. Dann hätte ich ja einschreiten können, ja, sogar einschreiten müssen. Aber so sind wir nur schnell vorbeigeschlichen. Mit dem Gefühl, dass wir das eigentlich nicht sehen sollten.
Wird das jetzt einreißen? Noch sind das ja nur zwei. Die sind schon älter. Diese ganze Debatte darüber, dass an den Schulen Gebetsräume für die Gläubigen eingerichtet werden sollen, haben unsere Schüler gar nicht richtig mitbekommen. Sich für so etwas zu engagieren wäre ihnen ohnehin nie in den Sinn gekommen. Schülerdemos oder Streikaufrufe gehen an denen spurlos vorüber. Und selbst wenn sie mal was mitbekommen, dann vergessen sie das Datum wieder. Auch die ganze angebliche Terrorgefahr in Deutschland kam bei ihnen erst an, als sie eigentlich schon wieder aus den Medien verschwunden war.
Abdul irgendwann: »Frau Freitag, haben Sie gehört, es soll Bomben geben auf Weihnachtsmärkten.«
»Hm, hab
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