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Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)

Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)

Titel: Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frau Freitag
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findet bei uns in der Schule ein Musiktalentwettbewerb statt. Emre, Abdul, Marcella und Bilal machen mit. Also noch mal vier weniger. Fehlen aber trotzdem noch ungefähr sieben oder so. Mustafa bietet sich an, bei der Musikveranstaltung nach den anderen zu suchen. Er meint, die hängen da schon den ganzen Tag als Zuschauer rum, obwohl sie wissen, dass sie das nicht dürfen. Er kommt kurze Zeit später wieder und sagt, dass die anderen nicht kommen wollen. Ich gehe runter und erwische zwei, die ich mit nach oben nehme. Drei entkommen mir, sie rennen einfach aus dem Musikraum auf den Hof. Ich will nicht hinterherrennen, trage sie als unentschuldigt ein und beginne mit dem Unterricht. Nur sieben Schüler sind da. Es ist ruhig und gemütlich.
    Mustafa zeigt mir einen Brief: » Vallah , ja, gucken Sie, Frau Freitag, was ich bekommen habe.«
    Ich sehe einen Adler auf dem Briefpapier. »Ist das von der Bundeswehr?«
    »Ja.« Es ist die Einladung zur Musterung oder die Vorstufe dazu.
    »Frau Freitag, ja, ich verstehe nichts. Was soll ich da machen?« Zugegeben, es ist viel Text, und den müsste man lesen. Da gibt Mustafa natürlich auf und fragt lieber mal Frau Freitag. Wir reden über die Wehrpflicht. Ich erkläre den Unterschied zwischen Zivildienst und Wehrdienst. Mustafa entscheidet sich spontan, keinen Wehrdienst zu leisten. Das erscheint ihm zu anstrengend. Auf Mustafas Bitte hin nehme ich seinen Brief mit. »Können Sie heute Abend meine Mutter anrufen und ihr das erklären?«
    Im Bus lese ich den Bescheid und frage einen jungen Mann neben mir, ob er so ein Schreiben auch schon bekommen hat. Er erklärt mir alles ganz freundlich. Nachmittags telefoniere ich noch kurz mit einer Frau von der Bundeswehr und erkundige mich, wie Mustafa seinen Wunsch nach Zivildienst äußern kann. Am Ende spreche ich mit Mama Mustafa, die sehr erleichtert ist. Nicht nur, weil ihr Sohn nicht in den Krieg ziehen muss, sondern vor allem, weil sich jemand um dieses offizielle Schreiben mit dem Adler drauf gekümmert hat. Ein paar Monate später wird der Wehrdienst abgeschafft und damit auch der Zivildienst für Mustafa.
    Aber zurück zur Englischstunde. Flexibel weiche ich von meiner Planung ab und übe mit den wenigen Anwesenden für die mündliche Prüfung. Sie arbeiten in Gruppen, und alle machen mit. Am Ende spielen wir Prüfung, und ich gebe ihnen Tipps, wie sie ihr Englisch verbessern können. Sie hören aufmerksam zu. Kurz vorm Klingeln gehe ich zu meiner Tasche: »Ach, hätte ich fast vergessen. Hier, eure Arbeiten.« Sie gucken drauf, vergleichen ihre Noten, stellen mit mir gemeinsam die Stühle hoch und gehen.
    Komisch, ich war weder wütend, noch musste ich Emotionslosigkeit vorspielen. Ich habe einfach die Arbeiten zurückgegeben. Am Ende einer Stunde, in der die meisten Schüler ziemlich gut mitgearbeitet haben. Waren aber auch nur sieben. Vielleicht kann ich Fräulein Krises Taktik ja anwenden, wenn ich den Schülern, die heute nicht da waren, ihre Arbeiten zurückgebe. Aber wie ich mich kenne, vergesse ich das auch wieder.
    Abooo, sie isst
    Woher kommt der Spruch: »Wer zuerst kommt, malt zuerst?«
    Der kommt aus meinem Unterricht. Eine spontan erfundene Unterrichtsmethode.
    Morgens begebe ich mich äußerst widerwillig in meinen Raum. Früh genug, um noch die Zeichenvorlagen zu suchen, die ich meiner Klasse im Kunstunterricht vorsetzen will. Da die meisten Schüler aus sehr anregungsarmen Haushalten kommen, in denen nicht viel Bildmaterial vorhanden ist, arbeite ich im Kunstunterricht eigentlich immer mit Vorlagen, also Bildern, an denen sich die Schüler beim Zeichnen orientieren können. Ich brauche noch ein paar kleine Noten von ihnen, und für große künstlerische Würfe sind wir alle schon zu müde. Es ist kurz vor Weihnachten. Ich suche also irgendetwas, das sie abzeichnen können, in meinen Schränken, in den Regalen. Nichts. Ich finde viel Plunder, aber nichts Brauchbares.
    Vor einigen Jahren wäre ich in dieser Situation in Panik ausgebrochen. Noch zehn Minuten bis zum Unterrichtsbeginn, und immer noch keine Aufgabe in Sicht.
    Heute – abgebrüht berufserfahren – grabe ich mich durch die Berge von Material, die ich in meinem Raum angehäuft habe, und werde fündig. Aquarellvorlagen. Ein Kollege hatte mir mal lauter alte Kalender mit kitschigen Blumenmotiven geschenkt. Alles aquarelliert. Apothekenkalender rocken!
    Ich finde ungefähr zwanzig verschiedene Motive. Die hefte ich alle mit Magneten an die Tafel. Ich

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