Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
bearbeiten sollen. Ronnie sitzt direkt vor meiner Nase. »Frau Freitag, ich muss aufs Klo.«
»Nein, Ronnie, geht nicht. Nicht mitten in der Stunde.«
»Aber ich muss.«
»Ronnie, ich habe Bilal eben auch nicht gehen lassen, und wenn ich dich jetzt gehen lasse … Du wärst doch der Erste, der sich lautstark über so viel Ungerechtigkeit aufregen würde.« Gerechtigkeit ist Ronnies Leidenschaft. Überall wittert Ronnie Ungerechtigkeit, die es zu bekämpfen gilt.
Er lässt nicht locker, und aus Erfahrung weiß ich, dass er mir den Rest der Stunde damit ruinieren kann. Ruinieren statt urinieren, sozusagen.
Nach dem zehnten Gequälten »Ich muss aber gaaanz doll«, flüstere ich ihm zu: »Dann geh jetzt, Ronnie, aber schnell und unauffällig. Ich will nicht, dass Bilal das mitbekommt.« Ronnie rennt, Bilal kriegt nichts mit, weil er in die schriftliche Aufgabe versunken ist.
Wenig später gehe ich zu Bilal. Er schreibt nicht mehr. »Bilal, was ist los? Mach mal die Aufgabe zu Ende!«
»Ich mach nichts mehr.«
»Warum? Was ist los?«
»Mich lassen Sie nicht aufs Klo, aber Ronnie darf, und dann sagen Sie ihm auch noch, er soll mir nichts sagen.«
Oh Mann! Ronnie, diese kleine miese Ratte. Wütend gehe ich zu ihm: »Ronnie, was soll das?« Er grinst.
»Ich lasse dich gehen, und du hast nichts Besseres zu tun, als gleich zu Bilal zu rennen. Pass auf, das war jetzt das letzte Mal, dass ich dich aufs Klo gehen lasse. Nächstes Mal dürfen alle anderen gehen, nur du nicht.«
Und das werde ich durchziehen, auch wenn er mir dann alle Stunden kaputt und sich in die Hose macht.
Frau Freitag will bestimmt ’ne Wii
»Was ist jetzt mit Julklapp, Frau Freitag?« Ayla interessiert sich schon seit Wochen für nichts anderes mehr. Bisher konnte ich sie immer vertrösten. Irgendwann muss ich mich allerdings wie jedes Jahr dem Julklapp und seiner Vorbereitung stellen. Jedes Jahr denke ich, die Schüler vergessen vielleicht, dass es so etwas wie Weihnachten, Nikolaus oder Julklapp gibt. Wir haben Kollegen an der Schule, die nie mit ihren Klassen feiern. Da wird noch nicht mal gemeinsam gefrühstückt, nicht mal am letzten Schultag vor den Ferien. Leider geht das mit meiner Klasse nicht, denn die bestehen immer auf diesem ganzen Schnickschnack.
»Okay, Ayla, frag mal die Klasse, ob die das wollen, und dann organisiere das.«
»Aber können wir dann auch ein Frühstück machen?« Frühstücken, das lieben sie, und das können sie. Frühstücken und schlecht in der Schule sein ist scheinbar alles, was sie in vier Jahren gelernt haben.
»Ja. Machen wir dann in der dritten Stunde.«
»Aber auch in der zweiten.«
»Nein, da habt ihr Deutsch. Wir machen das nur in der dritten Stunde.«
»Aber eine Stunde reicht nicht!«
Nach tagelangem Hin und Her stellt Frau Hinrich ihre Deutschstunde für das Frühstück zur Verfügung und nimmt damit zwangsläufig auch am Julklapp teil.
Hoffentlich ziehe ich eins von den aufgetakelten Disko-Mädchen, dann bekommt die billige Wimperntusche und Lipgloss. Ronnie sitzt direkt vor mir und grinst: »Hoffentlich kriege ich nicht Frau Freitag.« Jetzt denkt der sich wahrscheinlich wieder eine Gemeinheit aus. Scheinheilig frage ich: »Warum?«
»Frau Freitag will bestimmt eine Wii.«
»Ja, hätte ich wirklich gerne.« Ich bin begeistert. Seit Wochen nervt mich der Deutschlehrerfreund mit: »Kauf dir mal eine Wii! Du hast doch Kohle.« Sein Lieblingssatz, weil ER nämlich nie Geld hat. Und anscheinend gibt es ein Programm, mit dem man Rappen lernen kann. Ich dachte immer, auf dieser Wii kann man nur so kreplige Pseudo-Turnübungen machen. Aber Rappen lernen … das will ich doch schon seit Jahren.
Der letzte Julklapp ist ja schon wieder ein Jahr her – aber war nicht der Gag dabei, dass man nicht gleich weiß, wer wen gezogen hat? In meiner Klasse schreien sie es gleich raus. Jeder wird sofort informiert. Abdul faltet seinen Zettel auseinander. Kurzes Entsetzen: »Ich hab Frau Freitag!« Dann ein erleichtertes: »Ach, das macht meine Mutter.«
Und wie sie das machen wird! Ich freue mich jetzt schon auf ein schönes Geschenk von Mama Abdul. Und ich kann auch schon garantieren, dass das nicht nur 5 Euro kosten wird. Denn mehr soll eigentlich nicht ausgegeben werden, das hatten wir letztes Jahr schon so vereinbart.
Alle ziehen, alle kreischen, sie ziehen für die fehlenden Schüler, für Frau Hinrich, für Mariella, die ich rausgeschmissen habe, weil sie nicht aufhörte zu essen und dann noch
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