Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
kann kaum hinsehen – sie sind so kitschig, geradezu romantisch. Dazu schreibe ich: Neues Thema – Aquarellieren.
So. Jetzt können sie kommen. Es kommt nur Funda. »Oh, wie schööön. Machen wir das heute?«
Dann kommt Peter, und dann klingelt es zur Stunde.
Ich fange an, die Nichtanwesenden aufzuschreiben. »Peter, hier ist ein Blatt, schreib mal jeden der Reihe nach auf, der jetzt reinkommt.«
Nach zehn Minuten sind alle da. Ich beschreibe die Aufgabe. Wir klären schnell, was Aquarellieren ist. Marcella, die Italienerin, weiß es genau. Ach, ich liebe meine kosmopolitische Klasse.
»Ich will das mit den Rosen«, schreit Ayla.
»Nein, das will ich schon!«, kreischt Christine.
Ich bleibe ganz cool. Früher wäre die Stunde jetzt ins Chaos abgeglitten, denn die Alphatiere hätten sich Vorlagen ausgesucht, und die Opferschüler hätten schweigend geschmollt und jegliche Mitarbeit für den Rest der Stunde verweigert, wegen Ungerechtigkeit.
»Sorry, Ayla, aber es gibt schon eine Reihenfolge. Als Erstes darf Funda sich ein Bild aussuchen. Dann Peter. Wer zuerst kommt, malt zuerst.«
Peter liest die Namen vor, alle kommen gesittet nach vorne, suchen sich ein Motiv aus, ich händige das Aquarellpapier aus, alle beginnen zügig mit der Arbeit. Es gibt keinen Streit und keinen Stress. Ich bin begeistert von meinem Unterrichtseinstieg.
Nach zehn Minuten herrlichster Ruhe kommt Bilal mit total vollem Rucksack zu mir. »Frau Freitag, darf ich was essen?«
»Nein, wir haben doch jetzt Unterricht.«
Er öffnet seinen Rucksack, und der ist voll mit kleinen Tüten vom Bäcker, trockenen Chinanudeln und Süßigkeiten. Es sieht aus, als würde er das Wochenende in der Schule verbringen wollen.
»Frau Freitag, bitte, ich hab so Hunger. Hier, hier, nehmen Sie auch was. Hier!«
Er zieht eine Tüte raus.
»Hier, hm, lecker Vanilletasche mit Schokolade für Sie, hier, nehmen Sie.« Ich nehme die Tüte. Sieht echt lecker aus, diese Tasche. Ich breche ein winzig kleines Stück ab. Als ich es in den Mund stecke, bemerke ich, dass ich von meiner gesamten Klasse beobachtet werde.
» Abooo , sie isst!« Und ab da gibt es kein Halten mehr. Alle holen ihr Frühstück raus, Bilal verteilt großzügig Süßigkeiten – geizig sind meine Schüler nicht. Es wird gegessen bis zum Klingeln.
»Frau Freitag, wir machen einen Deal«, sagt Bilal beim Rausgehen. »Ich bringe Ihnen immer Vanilletaschen mit, und Sie schreiben nicht mehr auf, wenn ich zu spät komme.«
Ich schüttle nur den Kopf, weil ich mit der Gummischlange im Mund nicht sprechen kann. Abdul schiebt Bilal durch die Tür und sagt: »Oha, Frau Freitag wäre voll fett am Ende des Schuljahres.«
Ronnie leaks
» But what happens in a tornado ?« Wir sprechen über Naturkatastrophen. Es wurde bereits geklärt, warum wir keine hurricanes in Deutschland haben, was der Unterschied zwischen flood und Tsunami ist. Meine Schüler wissen jetzt auch, warum die Ostsee wahrscheinlich keine Tsunamis produzieren wird. Elifs Kommentar – mit leichter Enttäuschung in der Stimme: »Frau Freitag, diese ganzen Sachen passieren immer woanders auf der Welt. Nie in Deutschland.«
»Na ja, also Überschwemmungen und Feuer können wir hier auch bekommen«, versuche ich, sie zu trösten.
Wir lesen einen Text über ein Erdbeben. Mittendrin meldet sich Asmaa. Ich denk, ich seh nicht richtig. Asmaa meldet sich! Asmaa hat sich noch NIE im Englischunterricht gemeldet. Wenn ich sie ein-, zweimal im Monat drannehme, dann bekomme ich immer die gleiche Reaktion: »Frau Freitag, ich kann doch kein Englisch. Das wissen Sie doch.« Und jetzt meldet sie sich.
»Ja, Asmaa?«
»Frau Freitag, haben Blinde die Augen auf oder zu?«
»Blinde?«
»Ja, na, die sehen doch nichts, aber haben die die Augen trotzdem auf?«
»Ja, haben sie. Wer liest denn mal weiter? Wir waren beim zweiten Abschnitt.«
Jetzt meldet sich Elif.
Elif: »Und beim Schlafen, machen die die Augen zu? Oder haben die die Augen auf?«
»Mann, natürlich haben die die Augen zu!«, ruft Emre genervt von so viel Unwissenheit. Elif schmollt. Bilal meldet sich: »Darf ich aufs Klo?«
»Nein.«
»Aber ich muss. Dringend.«
»Nein!«
»Aber warum?«
»Bilal, ich habe Ronnie auch nicht aufs Klo gehen lassen. Wenn ich dich jetzt gehen lasse, dann regt der sich doch wieder auf.« Jetzt schmollt Bilal auch noch.
Irgendjemand liest dann doch noch den Text zu Ende, ich erkläre die schriftliche Aufgabe, die meine Schüler in der Stunde
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