Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
überreicht. Ich werde es schon überleben. Meine Klasse sowieso. Das sind Survivor. Die merken ja gar nicht, wie sie sich alles vergurken.
Zum Glück gibt es auch noch andere Schüler.
In der Pause kommt Yassin zu mir. Den hatte ich mal ein Jahr in Kunst und jetzt macht er Abitur.
»Frau Freitag, die Romantik in der Kunst.«
»Ja? Was ist damit?«
»Sagen Sie mir mal was dazu.«
Oh Lord , war das nicht Caspar David Friedrich mit diesen kitschigen Kreidefelsen?
»Na, Yassin, was weißt du denn darüber?«
Wir stehen auf dem Schulhof. Yassin zeigt auf einen Baum und erzählt was von einem Bach und so. Ich will ihm nichts Falsches sagen und schlage deshalb vor: »Komm doch kurz mit, dann gebe ich dir ein Kunstbuch, wo was zur Romantik drinsteht.«
Es klingelt zum Unterricht. Wir gehen um die Schule herum, damit ich noch eine rauchen kann. »Und du machst jetzt Abitur?«
»Ja.«
»Und schaffst du das?«
»Warum nicht? Haben doch vor mir auch welche geschafft. Ich denke mal, das schaffe ich auch.«
Im Treppenhaus frage ich ihn, was er danach machen will. »Hauptsache was, wo ich mich bewegen kann.«
»Werd doch Lehrer. Guck mal, Treppe hoch, Treppe runter – immer Bewegung.«
Er guckt mich an, dann die Siebtklässler, die sich im Gang über den Boden prügeln. »Auf keinen Fall. Ich würde so ausflippen bei den Schülern.« Ich denke an meine verbale Verfehlung eine Woche zuvor und grinse innerlich. »Ja, manchmal flippt man auch aus. Macht aber trotzdem Spaß.«
Bis zum Tellerrand und nicht weiter
Wir üben für die Englischarbeit. Lesen einen Text, angeblich ein Blog – Lehrbücher asseln sich immer an Trends ran – über einen Jungen, der sich fragt, ob er nach der Schule den Job annehmen soll, den man ihm angeboten hat, oder lieber für ein Jahr reisen soll. Was ist das denn für eine bekloppte Frage? Natürlich soll der Junge reisen. Ein Jahr, möglichst noch länger.
»Wisst ihr denn, was ein Blog ist?«, frage ich.
»Ein Forum«, antwortet Abdul.
»Ja, ja, es ist so was wie ein Forum. Jedenfalls fragt dieser Junge etwas, und andere Leute können ihm antworten.«
Wir krepeln uns gemeinsam durch den Text. Übersetzen so völlig neue und unbekannte Wörter wie traveling . Und dann die Antworten oder eher Ratschläge. Einer sagt, dass man ohne Geld nicht reisen kann, und gibt den Tipp, erst mal zu arbeiten. Der Nächste schreibt, dass der Fragende doch Work-and-Travel machen kann. Work-and-Travel erschließt sich meinen Schülern nicht, da wir traveling ja schon sieben Zeilen früher übersetzt haben und ihnen die Bedeutung bereits entfallen ist. Ich erkläre also, wie es funktioniert, weil ich das selbst auch schon mal gemacht habe. Einige Schüler sind interessiert, andere quatschen leise vor sich hin, Elif ist gut drauf und summt ein wenig. Ronnie hat wieder keinen Stift dabei und sich deshalb schon mal geistig abgemeldet.
Bilal guckt mich verwirrt an: »Aber ich kann doch nicht in ein Land gehen, also nach Amerika oder so, wenn ich die Sprache gar nicht spreche.«
»Na, die lernst du doch da, Trottel«, sagt Abdul.
Ich erkläre, was das Visum und die ganze Sache vor hundert Jahren gekostet haben. Ich war damals in Amerika und habe unzählige Teller gewaschen. Und weil ich das so zuverlässig gemacht habe – wir Deutschen können ja gar nicht anders –, hat man mich drei Monate abwaschen lassen, obwohl ich eigentlich kellnern wollte.
Plötzlich schaltet sich Elif ein: »Äh, aber wieso sollten die einem denn in einem anderen Land einen Job geben? Die kennen einen doch gar nicht.«
»Elif, bekommt man denn in Deutschland nur einen Job, wenn man den Arbeitgeber kennt?« Langsam wird mir klar, warum sich Elif noch nicht beworben hat, sie kennt einfach keine Chefs. »Nein, aber ich meine, wenn die Leute die Sprache nicht gut können.«
»Na, die sollst und wirst du doch vor Ort lernen. Wenn du ein Jahr in Amerika bist, dann lernst du doch auch Englisch. Und die Jobs sind natürlich nur so Hilfsjobs – kellnern, Tische abräumen, Teller waschen. Die stellen dich da jetzt nicht als Polizist oder im Büro ein.«
Das Konzept »Auslandsaufenthalt« kennen meine Schüler überhaupt nicht. Bilal denkt immer noch über den Spracherwerb nach: »Aber Frau Freitag, das kann doch nicht sein, dass man die Sprache dort so schnell lernt. Ich wohne jetzt seit fünfzehn Jahren hier und spreche immer noch so schlecht.« Bilal benutzt immer falsche Präpositionen – und die Artikel … auweia. »Bilal,
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