Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
der Prüfung hat sie eine schlechte Vier gemacht, und ihre Zeugnisnoten sehen auch übel aus.
Fatma pinselt die Fünfen und Sechsen sowie die halbgaren Vieren in die Tabelle, die ich ihr hingeschoben habe. Unter der Tabelle ist eine Art Flow-Chart abgebildet. In jedem Kästchen steht eine Frage, wenn man die mit »Ja« beantwortet, wandert man nach unten, wenn man die mit »Nein« beantwortet, wandert man nach rechts.
Unten links steht »Übergang in die gymnasiale Oberstufe«, daneben »Realschulabschluss« und rechts »Erweiterter Hauptschulabschluss« – und ganz am rechten Rand »Hauptschulabschluss«.
Den Einfachen Hauptschulabschluss haben die Schüler bereits mit dem Übergang in die 10. Klasse erhalten.
Fatma schreibt stoisch ihre schlechten Zensuren auf. Am Freitag nach ihrem Vortrag guckte sie mich noch ganz ungläubig an, als ich ihr sagte, dass sie sich jetzt sehr anstrengen müsse, um noch den »Erweiterten« zu bekommen. Sie rechnete immer noch mit dem Realschulabschluss.
»Also, wo waren wir, Fatma? Mathe: zwei Punkte. Physik: drei Punkte. Bio: vier Punkte.«
Dann gucken wir, wo noch was zu retten ist. Eigentlich kann sie den Realschulabschluss knicken, aber das wird nie ein Schüler von mir hören. Das Äußerste in dieser Richtung war heute eine zaghafte Nachfrage meinerseits: »Meinst du, du kannst hier oben noch überall auf sieben Punkte kommen und hier unten auf mindestens vier?«
Spätestens heute haben sich einige meiner Schüler innerlich davon verabschiedet, es bis zum Juni noch zu schaffen, von mehreren Fünfen und Sechsen auf lauter Dreien zu kommen.
Wir justieren also bei fast allen die Zielvorgaben. Endlich wird es mal realistisch. Eigentlich sieht es gar nicht so schlecht aus. Die meisten könnten noch einen Erweiterten Hauptschulabschluss schaffen. Auch die, bei denen der Realschulabschluss in Sicht ist, wissen genau, in welchen Fächern sie noch mal reinhauen müssen.
Dann kommt Abdul. Ich sage ihm seine Noten, er schreibt sie auf. Dann lasse ich ihn die Fragen in dem Diagramm vorlesen.
Im ersten Kästchen steht: »Ich habe in Deutsch oder Mathe mindestens fünf Punkte.«
Abdul guckt auf seine Noten: »Deutsch 4 Punkte und Mathe 3 Punkte.«
»Dann darfst du jetzt nicht nach unten wandern, sondern musst nach rechts.« Abdul zeichnet mit seinem Finger die Linie nach. Die geht ganz an den Rand der Seite und dann steil nach unten. Unten steht: »Einfacher Hauptschulabschluss«.
»Ups.« Abdul guckt mich verwirrt an.
»Tja, kannst du mal sehen.«
Stille.
»Äh?«
»Na, Abdul, ohne eine Vier, also fünf Punkte in Deutsch oder Mathe, kriegst du keinen Erweiterten. Aber träumen wir mal. Nehmen wir mal an, dass du es irgendwie schaffst, in Deutsch doch noch einen Punkt zu ergattern. Ihr schreibt ja übermorgen noch eine Arbeit. Dann kannst du ja mal gucken, was dir sonst noch fehlt.«
Wir umkringeln einzelne Fächer, schreiben die fehlenden Punkte darüber, und Abdul murmelt das schülertypische: »Schaff ich … in Erdkunde, locker, Bio … nur einen Punkt … schaff ich, geht schon. Kein Problem.«
Am Ende der Stunde zähle ich ihnen noch mal auf, wie viele Montage, Dienstage, Mittwoche, Donnerstage und Freitage es noch bis zur endgültigen Zensurenabgabe sind, verabschiede mich mit meinem üblichen »Geht zum Unterricht, und lernt was!« In meinen Freistunden checke ich auf dem Hof und in der Cafeteria, ob jemand schwänzt. Aber alle sind im Unterricht.
Frau Merkel
»Aber so viel verdient man doch als Lehrer auch nicht, oder?«, fragt Abdul. Mein Gehalt interessiert die Schüler unheimlich. Und ich bin immer sofort dabei: »Also brutto und netto – den Unterschied kennst du, oder?«
»Brutto ist das, was übrigbleibt, oder?«
»Genau umgekehrt. Also pass mal auf.« Ich schreibe meinen Bruttolohn an die Tafel. Irgendwas mit 4.500 Euro oder so.
»Echt? So viel?« Abdul ist überrascht. »Ist ja mehr, als ich dachte. Aber Sie haben doch studiert. Da könnten Sie doch auch noch mehr verdienen.«
Ich wische gerade die Tische ab und bücke mich immer wieder, um irgendwelche Papierfetzen und Taschentücher vom Boden aufzuheben. Abdul latscht mir hinterher.
»Ja, klar. Es gibt viele Berufe, in denen man mehr verdient.«
»In welchem Beruf verdient man eigentlich am meisten?«, fragt Bilal.
»Frau Merkel«, sagt Funda.
»Nee, Funda, ich glaube, so viel verdient die gar nicht. Das ist weniger, als man denkt. Aber natürlich mehr als ich. Ich denke mal, der Chef von der
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