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Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Paqué
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Schuldenkrise, die einen Qualitätssprung der Rolle Deutschlands brachte, weil das Land plötzlich als eine Art Hort der Stabilität und des robusten Wachstums erschien – jedenfalls im Vergleich zur schuldengeplagten südlichen Peripherie des Kontinents. Diese Veränderung wird inzwischen auch von europäischen Politikern ganz offensiv als eine politische Realität formuliert. So forderte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski Ende November 2011 Deutschland auf, bei der Rettung des Euros eine maßgebliche Führungsrolle zu übernehmen, und zwar im breiten Konsens mit der Politik der Mitgliedsländer der Europäischen Union. Die Rede fand weltweit Beachtung und traf in der internationalen Presse und Politik überwiegend auf Zustimmung. 155
    Dieser Stimmungswandel hat tiefe Gründe, die weit über die Probleme der Schulden- und Eurokrise hinausgehen. Um sie zu erkennen, muss man das erreichte Netzwerk der europäischen Integration in den Blick nehmen, wie es sich vor allem in Deutschlands Handelsverflechtung widerspiegelt. Zunächst gilt es dabei festzuhalten: Deutschland ist heute ganz ungewöhnlich stark auf den internationalen Handel ausgerichtet. So liegt die Exportquote, also der Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP), der auf die Ausfuhr von Waren zurückgeht, in Deutschland weit höher als in den anderen großen Industrieländern wie Frankreich, Großbritannien, Japan und den Vereinigten Staaten; Ähnliches gilt für die Importquote, also die Relation des Importwerts zum BIP. 156
    Ein strukturelles Unikat, das ist die deutsche Volkswirtschaft nach sechs Jahrzehnten der europäischen Integration. Sie spielt heute – bei der Größe der Bevölkerung und der Höhe des Pro-Kopf-Einkommens nicht überraschend – in der Liga der wirtschaftlichen Großmächte mit. Was ihre Außenhandelsorientierung betrifft, hat sie aber wohl auf Dauer die Struktur eines viel kleineren Landes mit naturgemäß viel stärkerem Gewicht von Aus- und Einfuhren aufgebaut. Deutschland liegt mit seinen Export- und Importquoten in der Größenordnung nördlicher und südlicher Nachbarn wie Dänemark, Finnland und Schweden sowie Österreich und der Schweiz, jeweils Nationen mit einer Bevölkerung unter zehn Millionen Menschen (und einer ähnlich wettbewerbsfähigen und innovationskräftigen Industrie wie der deutschen). Lediglich die westlichen EU-Nachbarländer Belgien und die Niederlande übertreffen Deutschland in ihrem Fokus auf den Außenhandel, aber das kann nun wirklich nicht verwundern, da es bei ihnen um zwei klassische Handelsnationen geht, die seit Jahrhunderten über höchst leistungsfähige Seehäfen und Binnenwasserwege verfügen.
    Die besonders starke Außenorientierung der deutschen Wirtschaft ist dagegen historisch etwas relativ Neues: Die Wirtschaft des Kaiserreichs und der Zwischenkriegszeit produzierte zwar natürlich auch erfolgreich für den Weltmarkt, aber der Grad ihrer globalen Integration entsprach nur in etwa dem, was auch Länder wie Großbritannien oder Frankreich vorzuweisen hatten. Es war erst das Hineinwachsen Westdeutschlands in die internationale Arbeitsteilung ab den 1950er-Jahren, das der deutschen Wirtschaft ihren besonders hohen Grad an Offenheit verlieh; 157 und es war die Fortsetzung dieses Trends während der letzten beiden Jahrzehnte, der im wiedervereinigten Deutschland diese strukturelle Besonderheit konsolidierte und sogar noch verstärkte. Dabei blieb natürlich der zunächst deindustrialisierte Osten zurück, holte aber zügig auf, nachdem die neuerliche Industrialisierung zumindest teilweise gelang. 158
    Es ist diese einmalige Verbindung von Größe und Offenheit, die der deutschen Wirtschaft im heutigen Europa eine besonders bedeutende Rolle zuweist, weit über ihre reine Größe hinaus. So ist Deutschland – anders als Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien – wirklich für alle Mitgliedsländer der Europäischen Union ein sehr wichtiger Handelspartner, und nicht nur für eine Untergruppe von regionalen Nachbarn. Für die große Mehrzahl der Länder ist es sogar der Handelspartner Nummer eins, und zwar sowohl auf der Import- als auch auf der Exportseite. Besonders große Bedeutung hat dabei die deutsche Wirtschaft für die Nationen des östlichen Mitteleuropas. Rund zwei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zeigt sich nämlich sehr deutlich, dass Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn und Slowenien, aber auch Rumänien und Bulgarien sich schon

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