Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
sehr stark in die europäische Arbeitsteilung eingegliedert haben, weit stärker noch als West- und Südeuropa in den Jahrzehnten zuvor. Schaubild 24 macht dies deutlich: Alle genannten Länder weisen für ihre Größe sehr hohe Export- und Importquoten auf, und zwar mit einem durchweg sehr hohen Anteil Deutschlands an ihrem jeweiligen Außenhandel. Dies ist zumindest teilweise die Folge deutscher Direktinvestitionen im östlichen Mitteleuropa, eine Entwicklung, die zumindest qualitativ dem Aufbau Ost innerhalb Deutschlands ähnlich ist. Offenbar haben viele deutsche Industrieunternehmen Teile ihrer Produktion nach Mitteleuropa verlagert, was sich in einer entsprechend hohen Handelsverflechtung niederschlägt, zum Teil auch durch Export und Import von Vor- und Zwischenprodukten.
Ein gewisser Schwerpunkt der Investitionen liegt dabei in der Slowakei und Ungarn, die beide extrem hohe Export- und Importquoten erreichen. Tatsächlich lässt sich eine besonders starke Integration im mittleren Donauraum beobachten, also in jenen Regionen, die sich um die östlichen Bundesländer Österreichs mit dem Großraum Wien gruppieren. Hier zeigt sich auch, dass mit Blick auf Handelsintegration und industrielle Verflechtung im Grunde Deutschland und Österreich zusammen betrachtet werden müssen. Für Österreich selbst ist ohnehin Deutschland der mit Abstand wichtigste Handelspartner, der rund ein Drittel von Österreichs Exporten nachfragt und fast die Hälfte seiner Importe liefert. Es geht also eigentlich um einen „deutschsprachigen Industrieraum“, der zunehmend mit dem östlichen Mitteleuropa als der dazugehörigen verlängerten Werkbank zusammenwächst. Dies fällt nur deshalb in den Statistiken nicht gleich ins Auge, weil die österreichische Wirtschaft relativ klein ist und nur ein Bruttoinlandsprodukt in der Größenordnung von elf Prozent des deutschen erwirtschaftet; Österreich rangiert daher selbst bei seinem engsten mitteleuropäischen Nachbarland Slowenien als Handelspartner klar hinter Deutschland, obwohl es ganz offensichtlich in der Region des Donauraums eine zentrale Rolle spielt.
All dies macht deutlich: Europa hat sich, was seine interne Verflechtung betrifft, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs stark weiterentwickelt und durchaus grundlegend gewandelt. Die Veränderung ging dabei eindeutig zugunsten des Gewichts von Deutschland oder, wenn man so will, des deutschsprachigen Raums. Zwar ist völlig klar, dass für Deutschland selbst die neu erschlossenen Regionen der Handelspartnerschaft auch heute noch nicht an erster Stelle stehen. Dafür bleibt das Land mit seinen hoch entwickelten westlichen Nachbarn zu eng und unverändert stabil integriert. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass sich die Gewichte verschoben haben, und zwar so, dass Deutschland als Industriestandort nun in alle Richtungen ausgreift, zunehmend auch in den Osten, und dort natürlich auf weit weniger etablierte Konkurrenz trifft als im Westen des Kontinents. Hilfreich ist dabei auch der typisch deutsche Fokus auf klassische Industrien: Vom Maschinen- und Fahrzeugbau über die Elektrotechnik bis hin zu Chemie und moderner Ernährungswirtschaft dominieren dieselben Branchen die Export- und die Importpalette. Dies deutet auf eine ausgeprägte regionale Zerlegung der Wertschöpfungskette hin, wie sie in global agierenden Unternehmen üblich ist, die jeweils vor Ort die vorhandenen Standortvorteile optimal nutzen. 159
Diese Entwicklung gibt Deutschland unweigerlich ein überaus starkes wirtschaftliches und damit auch politisches Gewicht in der Europäischen Union. Für die allermeisten EU-Länder lässt sich feststellen: Deutschland ist die Nation, mit deren Schicksal die eigenen nationalen Wirtschaftsinteressen am stärksten verknüpft sind; und dies hat realwirtschaftliche Gründe, die weit tiefer gehen als jene Bilanz der Solidität und Stabilität, die derzeit als Hauptgrund für Deutschlands Gewicht in der Europäischen Union ausgemacht wird. Umgekehrt gilt dies zumindest in der Summe genauso: Deutschlands Interessen hängen in hohem Maße von dem Schicksal der Gesamtheit der EU-Handelspartner ab. Dabei zählt weniger jedes einzelne Land, das im Bild der außenwirtschaftlichen Verflechtung aus Sicht Deutschlands zumeist klein ausfällt. Es zählt aber das gesamte Netzwerk von Handel und Direktinvestitionen, und zwar als die bei Weitem wichtigste einzelne Säule der Integration Deutschlands in die Weltwirtschaft. Immerhin machen die
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