Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
der Eurozone.
Über den Realitätsgrad dieser Szenarien wird heftig gestritten. Manche halten sie für Horrorfantasien, andere (so auch der Verfasser) für im Kern angemessen und lebensnah. Im Einzelnen gibt es natürlich eine Fülle von weiteren Vorschlägen zur Lösung der Eurokrise – bis hin zum Modell einer „Euro-Ausstiegshilfe“, also dem Bereitstellen von Mitteln für die Einführung einer neuen Währung, oder zur Forderung, Deutschland selbst solle die Eurozone verlassen und mit anderen stabilitätsorientierten Ländern eine starke „Nord-Eurozone“ gründen. 162 Es kann hier offenbleiben, wie diese Vorschläge in der Sache zu beurteilen sind. Gemeinsam ist ihnen stets eines: Sie zielen darauf ab, die dauerhafte Verantwortung Deutschlands für andere Länder der Eurozone und auch der Europäischen Union insgesamt deutlich zu mindern. Sie folgen dem Motto: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Sie sagen: Lieber einen Fehler – die Einführung des Euro in 17 Ländern – rasch korrigieren, als mit einer Fehlkonstruktion ewig „weiterwurschteln“.
Die Argumentation der Euroskeptiker ist in sich schlüssig, aber in hohem Maße unpolitisch. Sie lässt vollkommen außer Acht, dass Politik ihrem Wesen nach nicht symmetrisch ist. Politik folgt eher der Erkenntnis Mephistos in Goethes Faust: „Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte.“ Vielleicht wäre es tatsächlich besser gewesen, Griechenland und Portugal (und Irland? Spanien? Italien?) nicht in die Eurozone aufzunehmen; aber es ist nun einmal geschehen. Die Rückabwicklung der Entscheidung würde nicht nur Ansteckungsrisiken für andere Länder schaffen. Sie würde auch das klare Signal setzen, dass der „acquis communautaire“, wenn er sich als wirtschaftlich schwierig und fiskalisch teuer erweisen sollte, von den starken EU-Ländern doch zur Disposition gestellt wird. Es wäre ein Zeichen der Kraftlosigkeit der Politik, das innerhalb Europas und weltweit zu einer völligen Neubewertung der Ernsthaftigkeit des EU-Integrationsprojekts führen würde. Die Kosten einer solchen Neubewertung sind natürlich nicht einfach zu messen. Es ist deshalb kein Zufall, dass der Hauptwiderstand gegen die derzeitige Politik aus den Reihen professioneller Ökonomen kommt, die daran gewöhnt sind, auf quantitative Untermauerung von Argumenten zu bestehen. 163 Es geht aber gleichwohl um reale Kosten, politische und ökonomische, die von einer solchen Neubewertung drohen.
Innerhalb der Europäischen Union wäre die Konsequenz relativ klar: Wenn schon die starken EU-Länder nicht mit letzter Konsequenz für den „acquis communautaire“ kämpfen, dann werden es die schwächeren Partner auch nicht tun. Die Bindekraft der EU wird abnehmen – zunächst vielleicht nur schleichend, aber doch kontinuierlich und unaufhaltsam. Dies gilt gerade auch für die Länder in Mittel- und Osteuropa, die noch nicht Teil der Eurozone sind. Ihre Motivation zu harten Reformen speist sich im Wesentlichen aus der Vision, in ein freiheitliches Europa hineinzuwachsen, in dem marktwirtschaftliche Prosperität und fiskalische Stabilität herrschen, aber gleichzeitig die Schwächeren durch die Stärkeren gefördert und unterstützt werden. Eine Perspektive, in der sich ausschließlich die (eng definierten) Interessen und Ordnungsvorstellungen des westlichen Kerns durchsetzen, ist wenig attraktiv. Es bedarf gerade in Krisenzeiten einer Bestätigung des kooperativen Geistes, um die langfristige Vision zu erhalten und zu stärken. Fehlt diese Bestätigung, wird auch in den betreffenden Ländern der politische Widerstand gegen Härten der Modernisierung und Anpassung zunehmen. Europa wird dann langfristig noch viel weiter auseinanderdriften, als es dies derzeit ohnehin schon tut.
Es fällt schwer, eine solche Perspektive als politisch wünschenswert anzusehen. Dies gilt vor allem auch mit Blick auf ihre Außenwirkung: Ein Europa, das auseinanderdriftet, wird in der globalen Politik kaum als starker Akteur auftreten können. Dabei stehen in der Weltwirtschaft grundlegende Veränderungen an. So wird die klassische westliche Welt mit ihrem Kern in Europa und Nordamerika massiv an wirtschaftlichem Gewicht verlieren, jedenfalls wenn man es am Anteil der globalen Wirtschaftskraft misst. Dies ist im Wesentlichen ein erfreulicher Trend, ergibt er sich doch aus dem beschleunigten Wachstum jener riesigen Entwicklungs- und Schwellenländer, die sich aus bitterer Armut
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