Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
verabschieden und aus eigener Kraft in die Weltwirtschaft integrieren. Damit droht allerdings auch ein fundamentaler Wandel des weltpolitischen Klimas. Es geht nämlich bei den neuen wirtschaftlichen Großmächten fast durchweg um Länder, in denen freiheitliches Denken und demokratisches Handeln weit weniger gefestigt sind als in den westlichen Industrienationen. Was den Ausbau und Schutz der Prinzipien einer liberalen Weltwirtschaftsordnung betrifft, dürfte von diesen Ländern wohl kaum ein wesentlicher Impuls und Eigenbeitrag zu erwarten sein. Im Gegenteil, ihr zunehmender Einfluss erhöht die Gefahr, dass der erreichte Konsens über die Regeln der Fairness von Freihandel und Wettbewerb erodiert und zerbröselt. Gerade deshalb bedarf es starker – und vereinter – Stimmen des Westens. Ein Scheitern der europäischen Integration würde diesen Chor der Stimmen maßgeblich schwächen. Es wäre kaum vorstellbar, dass ein wirtschaftlich auseinanderfallendes Europa noch die nötige politische Kraft aufbringen könnte, seinen Einfluss auf die Gestaltung der Weltwirtschaftsordnung zu wahren. Dies gilt gleichermaßen für Fragen der Währungsordnung, des Güterhandels und der Finanzmärkte.
Eine Frage von Krieg und Frieden?
Helmut Kohl über Europa
Es war wie ein Donnergrollen: Ende Februar 2012 äußerte Altbundeskanzler Helmut Kohl, es gehe in Europa um eine Frage von Krieg und Frieden. Also: Der Erhalt der Währungsunion, die Rettung des Euro und der Fortgang der europäischen Integration seien keine Fragen, die sich mit dem normalen Rechenschieber der Klein-Klein-Politik beantworten ließen. Es gehe um Entscheidungen von historischer Dimension, politisch und wirtschaftlich. Und Deutschland stehe dabei in besonderer Verantwortung. Hat Kohl recht?
Zunächst gilt es festzuhalten: Mit der Europäischen Union ist tatsächlich etwas gelungen, das viele Menschen des Alten Kontinents vor zwei Generationen für völlig utopisch gehalten hätten: ein Kontinent des Freihandels, der Freizügigkeit und des freien Kapitalverkehrs, zum Teil mit einer gemeinsamen Währung, dem Euro, zum übrigen Teil mit nationalen Währungen, die sich praktisch an den Euro binden und damit eine Art europäischen Stabilitätsraum schaffen. Darüber hinaus ein Kontinent, dessen innere wirtschaftliche Verflechtung kontinuierlich zugenommen hat, mit einer Art natürlichen Führungsrolle Deutschlands als größte Wirtschaftsnation des westlichen Zentrums mit ungewöhnlich starker außenwirtschaftlicher Orientierung. Es ist wirklich – für Europa und für Deutschland – eine märchenhafte Erfolgsgeschichte, mit der Mitte des letzten Jahrhunderts niemand rechnen konnte.
Allerdings ist es auch eine Geschichte mit einem äußerst schwierigen aktuellen Kapitel: Die Schuldenkrise hat fundamentale Schwächen aufgedeckt, die künftige Divergenz des Wachstums droht die Wirtschaft des Kontinents auseinanderzutreiben, und die stärkste Dynamik der weltwirtschaftlichen Integration wird von anderen Teilen der Welt ausgehen. Ist es da nicht sinnvoll, eine Art politische Pause der Integration einzulegen, bis alle ihre Hausaufgaben gemacht haben und Europa wieder wie früher voranschreiten kann, ohne übergroße Hast und Vorstellungen von angeblichen Handlungszwängen und Alternativlosigkeiten?
Wenn es nur so einfach wäre! Richtig ist natürlich, dass die EU in vielen Bereichen des täglichen Lebens mit ihrem Regulierungseifer zu Recht den Unmut der Bürger auf den Plan gerufen hat. Hier wären wirklich eine Pause und ein Umdenken angebracht: weg von dem, was man „Zwangsintegration“ nennen könnte, und hin zu einer ehrlichen Umsetzung des Gedankens der Subsidiarität, also des Vorrangs der Bürger- und Konsumentenwünsche auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, bevor die EU mit detailverliebten Direktiven alles über einen Leisten schlägt.
Die derzeitige Krise hat indes einen ganz anderen Charakter. Es geht nicht um die Regulierungswut im Detail, sondern um die Koordination auf der Ebene ganzer Volkswirtschaften. Es fehlt eine gemeinsame Politik, die ein dauerhaftes Auseinanderdriften der Wettbewerbsfähigkeit verhindert. Insofern heißt „mehr Europa“ nicht „noch mehr eines detailregulierenden Superstaats in Brüssel“, sondern „mehr Instrumente zur Durchsetzung der makroökonomischen Stabilität in der EU“. Denn es ist genau diese Stabilität, die dann auch von den Kapitalmärkten honoriert wird. Gerade deshalb sind allerdings auch
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