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Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Paqué
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des Ersten Weltkriegs erlaubte, das Produktionsniveau von 1913 wieder zu erreichen, um ab 1931 im Zuge der Weltwirtschaftskrise wieder darunter zu fallen. 17 Also: eine zwar wild zerklüftete Wirtschaftsphase, die aber durchaus in das langfristige Auf und Ab der Wechsellagen des deutschen Arbeitsmarktes passt, und zwar natürlich als eines der tiefsten Täler. Ob dabei das Ausmaß der Unterbeschäftigung in den späteren 1920er-Jahren höher oder geringer war als in den zwei Jahrzehnten nach dem Gründerzeitkrach, ist mangels differenzierter Statistiken nicht mehr zu entscheiden.
    Die Geschichte ging weiter: Es folgten der Zweite Weltkrieg, die Besatzungszeit danach und schließlich zumindest in den Westzonen des besetzten Landes eine Wirtschafts- und Währungsreform mit Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Verhältnissen. Es begann das berühmte deutsche Wirtschaftswunder. Seither ist die deutsche Arbeitsmarktgeschichte lückenlos dokumentiert, zumindest für die im September 1949 gegründete Bundesrepublik. Schaubild 4 zeigt die Arbeitslosenquoten seit 1950, und zwar bis 1990 für Westdeutschland und ab 1991 für Gesamt-, Ost- und Westdeutschland. 18 Das Bild lässt sich in zwei große Wechsellagen zerlegen: die Zeit bis 1973 und die Zeit nach 1973. Beide Wechsellagen werden uns in den folgenden Abschnitten (1.3 und 1.4) intensiv beschäftigen, denn sie haben große Bedeutung für die Interpretation der aktuellen Lage.
    Beschränken wir uns deshalb zunächst auf eine ganz knappe Beschreibung der Fakten. Die sind einfach genug. So herrschte bis 1973 im Wesentlichen Vollbeschäftigung. Genauer gesagt: Die deutsche Wirtschaft startete in der Nachkriegszeit zwar mit hoher Arbeitslosigkeit, raste aber dann mit beeindruckender Geschwindigkeit in Richtung Vollbeschäftigung. Schon Mitte des Jahrzehnts, im Zuge der Boomphase 1955, sank die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt unter fünf Prozent, im Jahr 1957 lag sie bei 3,7 Prozent. Nach allen normalen Maßstäben war eigentlich schon Vollbeschäftigung erreicht. 19 Es ist merkwürdig, dass es aber bei diesem Zustand keineswegs blieb, sondern im Trend einfach weiterging. Die deutsche Wirtschaft erlebte innerhalb weniger Jahre eine Verstärkung und Verdichtung der Vollbeschäftigung, bis ab 1960 eine Arbeitslosenquote von einem Prozent zur Normalität wurde, die bis zum Jahr 1973 fortbestand. Nur einmal – in der scharfen und kurzen Rezession 1967 – gab es einen Sprung nach oben, aber selbst der damalige Jahresdurchschnitt von 2,1 Prozent lag für einen konjunkturellen Tiefpunkt noch extrem niedrig (und zwar selbst dann, wenn man berücksichtigt, dass ein guter Teil der Unterbeschäftigung durch fernbleibende Gastarbeiter „exportiert“ wurde). 20

    Die Vollbeschäftigung endete fast noch abrupter, als sie begonnen hatte, im Nachgang zur ersten Ölkrise 1973 und im Zuge der darauffolgenden schweren Rezession. Damit wurde die zweite große Wechsellage der Nachkriegszeit eingeläutet. Es ist die sechste und letzte in der Reihe unseres historischen Überblicks. Diese Wechsellage hält bis heute an. Ihr dramatischer Auftakt ähnelt dem Gründerkrach fast genau 100 Jahre zuvor; indes hat sie, wie die Geschichte zeigte, viel länger überdauert als die damalige Krise am Arbeitsmarkt. Tatsächlich ist seit 1973 die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu einem Dauerproblem geworden: Nach dem stufenweisen Anstieg nach 1973 und wieder nach 1982 (im Gefolge der zweiten Ölkrise!) blieb das Niveau der Arbeitslosenquote bemerkenswert konstant, und zwar auf einem Niveau von etwa neun Prozent. Ende der 1980er-Jahre schien es Ansätze zu einer Verbesserung der Lage zu geben, aber es kam anders: Mit der deutschen Wiedervereinigung folgten zwei weitere Jahrzehnte der chronischen Arbeitslosigkeit, die sich fast nahtlos an die früheren anschlossen, und zwar nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Bis eben zu jener merkwürdigen Rezession 2009, deren ungewöhnlicher Verlauf im Vergleich zu früheren Rezessionen der Ära der Arbeitslosigkeit seit 1973 uns erst aufmerken ließ.
    Fassen wir also unsere Beobachtungen zusammen: Die kapitalistische Wirtschaftsgeschichte Deutschlands ist anscheinend geprägt von ganz wenigen großen Wechsellagen am Arbeitsmarkt. Wir haben sechs davon gezählt. Die Strukturbrüche zwischen jeweils zwei Lagen sind dabei stets recht abrupt, und zwar gleichgültig, ob es vom Zustand der Vollbeschäftigung in die Unterbeschäftigung geht oder umgekehrt. Sie dauern

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