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Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Paqué
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beziehungsweise östlichen „Peripherie“ 126 , alle im Jahr 2011 mit deutlich höheren Erwerbslosenquoten als das westliche Zentrum. Die zweite Gruppe zerfällt dabei mit Blick auf die Veränderung seit 2005 nochmals in zwei Untergruppen: jene mit deutlicher Verschlechterung, vor allem die Länder im Süden und Westen, und jene mit nur geringer Veränderung, vor allem im östlichen Mitteleuropa. Jedenfalls zeigt das Bild, dass sich die internationale Struktur der Arbeitsmarktlagen im Zuge der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise verschoben hat: zugunsten des westlichen Zentrums und zulasten der südlichen und westlichen Peripherie, bei im Wesentlichen stabiler Lage im Osten, wobei das dort heißt: bei Erwerbslosenquoten, die noch deutlich über dem Durchschnitt verharren.
    Natürlich ist es noch viel zu früh, aus dieser Verschiebung am Arbeitsmarkt auf eine dauerhafte strukturelle Veränderung zu schließen. Denn noch wissen wir nicht, was sich in den nächsten Jahren im Zuge weiterer Anpassungen tun wird. Allerdings ist das Bild am Arbeitsmarkt auffallend stark korreliert mit anderen gesamtwirtschaftlichen Beobachtungen, die alle darauf hindeuten, dass sich die Schere zwischen dem westlichen Zentrum und der geografischen Peripherie eher weiter öffnen als schließen wird. So kämpfen derzeit genau jene Länder gegen nationale Überschuldungskrisen sowie hohe Defizite in der Leistungsbilanz und im Staatshaushalt, die bereits heute an relativ hoher Arbeitslosigkeit leiden, allen voran die Länder der südlichen Peripherie, also Griechenland, Italien, Portugal und Spanien, sowie Irland. Der Prozess der Anpassung – eher Reflation in den Überschuss- und eher Deflation in den Defizitländern – ist also noch keineswegs abgeschlossen, wir stehen wohl erst an dessen Anfang. Geht er aber weiter, so werden die Zustände an den nationalen Arbeitsmärkten weiter auseinanderdriften.

    Um die Tragweite dieser Situation zu ermessen, ist es nötig, einen Blick zurück in die gemeinsame Wirtschaftsgeschichte Europas zu werfen. Es geht dabei zunächst vor allem um die Entwicklung seit den 1980er- und 1990er-Jahren, also in der Zeit, die man die mittlere Frist nennen könnte – etwa 30 Jahre, das heißt eine Generation. Es ist fast durchweg eine Zeit, in der die europäische Peripherie gegenüber dem westlichen Zentrum aufholte: zunächst der Süden und schließlich auch die östliche Mitte und der Osten, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und einem vielerorts turbulenten Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft. Das Muster ist dabei überall im Wesentlichen das gleiche: Aufbau einer wettbewerbsfähigen Industrie, gestützt auch durch Direktinvestitionen aus den führenden Industrieländern, allen voran aus dem westlichen Zentrum Europas; gleichzeitig Modernisierung und Expansion der Binnensektoren, von den Banken und Versicherungen bis zu Einzelhandel, Tourismus und öffentlicher Verwaltung; schließlich – mit Blick auf die Europäische Währungsunion und die Einführung des Euro – eine schrittweise Bekämpfung der Inflation, um am Ende das Maß an Stabilität vorweisen zu können, das im westlichen Zentrum Europas schon lange zum Standard gehörte und im Übrigen zur Bedingung für die Mitgliedschaft in der Eurozone gemacht wurde.
    Dieser Weg war bemerkenswert erfolgreich. So sah es jedenfalls lange Zeit aus. Europa bot das Bild der stetigen Konvergenz. Die schwächeren Länder holten auf, die stärkeren gingen nur mehr mit deutlich gebremstem Wachstum voraus. Die Pro-Kopf-Einkommen näherten sich an – scheinbar unaufhaltsam, wie von einer unwiderstehlichen ökonomischen Logik getragen. So stand Spanien 1985 bei gerade mal 50 Prozent des deutschen Pro-Kopf-Einkommens, im Jahr 2000 waren es etwa 63 Prozent und 2007, unmittelbar vor der Weltfinanzkrise, fast 80 Prozent. In den anderen Ländern war der Trend ähnlich, wenn auch der Abstand zum westlichen Zentrum in Griechenland und Portugal zuletzt noch deutlich größer blieb (und immer schon größer war!) als im Fall von Spanien. Irland gelang es sogar, Deutschland im Pro-Kopf-Einkommen deutlich zu überholen, was ihm den Ehrentitel „keltischer Tiger“ eintrug – in Anlehnung an die vier südostasiatischen „Tigerstaaten“ Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan, die in den 1960er- bis 1980er-Jahren einen ungewöhnlichen Entwicklungsspurt erlebten. Mit dem wirtschaftlichen Aufholen kam auch die erwünschte Stabilität des Preisniveaus. Man näherte sich in der

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