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Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Paqué
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Lebensstandard möglich ist. Insofern finden entsprechende Aufrufe einen breiten Widerhall. Die Frage ist allerdings, ob bei einer deutlich beschleunigten Geschwindigkeit des Drucks zur Anpassung nicht doch politische Widerstände wach werden, mit denen in der abstrakten Planung noch niemand rechnet. Dann geht es nämlich nicht mehr um das Erreichen einer einzigen guten Sache, sondern um einen Konflikt zwischen unterschiedlichen Zielen. Der Beispiele gibt es viele: Energieeinsparung durch Wärmedämmung versus Optimierung des Raumklimas in Wohngebäuden, Minderung des Pendlerverkehrs durch Rückwanderung in die Städte versus Aufwachsen von Kindern in der Atmosphäre gepflegter Vororte, Senkung des Benzinverbrauchs versus Unfallschutz durch stabile (und schwere) Karosserien etc., etc. Wieder spielt dabei die Zeit eine wesentliche Rolle: Gerade weil die schnelle Energiewende den Druck nur in die Richtung eines einzigen Ziels massiv verstärkt, kann es durchaus sein, dass im Urteil der betroffenen Menschen der Preis in Form anderer Ziele zu hoch wird. Widerstand gegen einen forcierten Wertewandel ist dann vorprogrammiert.
    Es ist völlig offen, wie die Politik dann auf diese Widerstände reagiert. All jene, die einen grundsätzlichen Wandel der Werte hin zu weniger Konsum fordern, lassen genau diesen kritischen Punkt offen. 123 Sie fordern eine radikale Umkehr zu einer Gesellschaft, in der ökologische Werte einen viel höheren Stellenwert haben, als dies heute der Fall ist; aber sie erklären nicht, wie in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft mit einer Mehrheit von Bürgern umzugehen ist, die dies nicht wünscht. 124 Sie rechtfertigen einen massiven Einsatz von Instrumenten zur Minderung des Verbrauchs von Ressourcen; aber sie erklären nicht, ab welchem Punkt ein solcher Instrumenteneinsatz zu faktischer Enteignung beziehungsweise zur Aushebelung von Freiheitsrechten führt, etwa wenn „prohibitive“ Steuern erhoben oder gängelnde Ge- und Verbote verhängt werden. Tatsächlich liegt hier ein grundsätzlicher Konflikt zwischen den individuellen Glücksvorstellungen und den übergeordneten Zielen einer „volonté générale“, die in der Energiewende und der zugehörigen Industrie- und Technologiepolitik zum Ausdruck kommt. Genau an dieser Stelle gibt es Risiken, die noch weit über das rein Wirtschaftliche hinausreichen.

3.   Europa: Leben mit Ungleichheiten
3.1   Abschied von Illusionen
    Die merkwürdige Krise 2009: Das war am Anfang dieses Buches der Ausgangspunkt unserer Überlegungen zum Arbeitsmarkt in Deutschland. Unsere These lautete: Die überaus schwache Wirkung dieser Krise auf den Arbeitsmarkt ist das Wetterleuchten einer grundlegenden Veränderung, und zwar weg von der chronischen Arbeitslosigkeit hin zu einer ebenso chronischen Voll- oder gar Überbeschäftigung. Die Frage ist nun: Kommt diese Veränderung überall in Europa? Man könnte es vermuten, denn immerhin hat es ja auch über drei Jahrzehnte einen langen gemeinsamen Weg der hohen Arbeitslosigkeit gegeben, mit vielen Parallelen in den meisten Ländern des alten Kontinents. Im Übrigen sieht die demografische Entwicklung im Wesentlichen überall ähnlich aus. Wird es also auch auf dem Rückweg zur Vollbeschäftigung einen europäischen Geleitzug geben?
    Die Antwort lautet Nein, jedenfalls nicht auf absehbare Zeit. Tatsächlich ist die Weltfinanzkrise mit ihren Folgen für Europa eine Art Wasserscheide: bis dahin Konvergenz, seither Divergenz. Um die ersten Ansätze dieses Wandels zu erkennen, genügt eigentlich schon ein flüchtiger Blick auf die Statistik der Arbeitslosigkeit. Schaubild   17 zeigt die Entwicklung der Erwerbslosenquote im Zeitraum 2005 bis 2011 für Deutschland und die Europäische Union als Ganzes sowie die Eurozone. 125 Das Bild ist eindeutig: Die Entwicklung in Deutschland war weit günstiger als im Durchschnitt Europas, und zwar unabhängig davon, ob man innerhalb der Währungsgrenzen des Euro bleibt oder darüber hinausgeht. Offenbar sind die Dinge hierzulande anders – und besser – verlaufen als anderswo. Innerhalb Europas lässt sich dabei eine klare regionale Struktur erkennen, in die sich auch Deutschland einfügt. Danach zerfällt Europa heute im Wesentlichen in zwei Gruppen: das „westliche Zentrum“ mit Deutschland und einer größeren Zahl kleinerer Nachbarn, alle mit ähnlich niedrigen Erwerbslosenquoten deutlich unter acht Prozent; und die übrigen Länder an der südlichen, westlichen

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