Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Erkenntnisse, aber auch dank einer umfassenden medialen Umsetzung. Aber nirgends nahm die nationale Politik das Thema so ernst wie in Deutschland.
Das ist tatsächlich etwas Neues in der Bundesrepublik Deutschland. Nicht mehr der pragmatische Interessenausgleich und der schrittweise, tastende Fortschritt stehen im Vordergrund, sondern die radikale Veränderung. Natürlich wird sich auch dann noch die praktische Frage stellen, wie pragmatisch der Weg zum Ziel gestaltet wird. Aber das Ziel selbst ist schon da: klar definiert, gut abgesteckt und am fernen Horizont durchaus erkennbar. Damit verändert sich die Staatsphilosophie: Im Zentrum steht nicht mehr das Glücksstreben des Einzelnen, wie es die amerikanische Verfassung formuliert. Stattdessen geht es um ein kollektives Ziel, dem sich der Einzelne letztlich unterordnen soll – durch Umstellung seiner Gewohnheiten, durch Wandel seiner Werte. Die Zukunft wird zeigen, ob er bereit ist, dies zu tun.
Das Ergebnis ist eine öffentliche Diskussion, die den Druck auf die Politik maßgeblich erhöht, schnell und durchgreifend zu handeln. Sie tut dies viel stärker, als es ursprünglich, also zu Beginn der Selbstselektion, dem Meinungsbild der Wissenschaft entspricht. Allerdings lässt sich dieses Meinungsbild nach einer gewissen Zeit gar nicht mehr objektiv ermitteln, eben weil sich durch die geschilderte Spezialisierung die Gruppe der Experten immer mehr aus „Pessimisten“ zusammensetzt, weil die „Optimisten“ ausgeschieden sind. Sie gehören gar nicht mehr zur „peer group“, deren Meinung bei dem betreffenden Thema gefragt wird. In den anderen, weniger politisierten Bereichen bilden sie ihre eigenen „peer groups“, die gleichfalls gefragt werden, aber eben nur zu weit weniger politisierten Themen, für die sie unbestrittene Experten geworden sind. So gruppiert sich die Wissenschaft in einer Art evolutionären Prozess, der im Ergebnis zu einer intellektuellen Dominanz der Pessimisten in der öffentlichen Meinung führt. Man mag die Geschichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) durchaus in diesem Licht interpretieren. Jedenfalls tun dies jene Kritiker, die sich in jüngerer Zeit in größerer Zahl zu Wort gemeldet haben. Allerdings fällt die Position des IPCC in den unterschiedlichen Ländern nicht auf gleichermaßen fruchtbaren Boden. In einer idealistisch geneigten Nation wie Deutschland ist die Resonanz aber stark und nachhaltig.
Aus politischer Sicht mag man übrigens die intellektuelle Dominanz der Pessimisten als eine Art nötiges Gegengewicht betrachten gegenüber der natürlichen Beharrungstendenz, die eine Gesellschaft und ihre Wirtschaft haben. Diese ergibt sich ganz von selbst aus den „vested interests“, die sich in den jeweils vorhandenen Industriezweigen sammeln. Ohne Zweifel haben diese Interessen eine eher konservative Tendenz: Sie wollen die von ihnen finanzierten Kapitalanlagen vor Abwertung und Abschreibung schützen, und sie kämpfen deshalb als Lobbygruppe gegen alles, was ihre Interessen gefährdet. In der Energiepolitik ist deswegen traditionell – und zumeist despektierlich – von der „Kernkraftlobby“, der „Kohlelobby“ oder der „Öl- und Gaslobby“ die Rede. Indes deutet die jüngste deutsche Wirtschaftsgeschichte auf eine beachtliche Gewichtsverschiebung der Lobbykraft hin: Längst gibt es – ins Leben gerufen und vitalisiert durch das EEG – eine überaus schlagkräftige Lobby jener Industriezweige, die erneuerbare Energie herstellen. Zumindest die „Windkraftlobby“ und die „Solarlobby“ stehen den traditionellen Lobbys kaum mehr nach. Dies ist ein ganz natürlicher Prozess: Wer wirtschaftliche Bedeutung gewinnt, entwickelt dann auch mit der Zeit eine dementsprechende Lobbymacht. Zum Teil sind es ja sogar genau jene Konzerne, die über Jahrzehnte fossile und nukleare Energie produzierten, die sich zunehmend in den neuen Sparten der regenerativen Energien tummeln. Insofern geht es im Einzelfall sogar um dieselben Unternehmen, gelegentlich sogar um dieselben Personen.
Dahinter steht wiederum eine Art politökonomisches Naturgesetz: Die Wirtschaft verhält sich opportunistisch. Sie mag für oder gegen politische Weichenstellungen kämpfen, je nach den vorherrschenden Eigeninteressen. Sind diese allerdings festgelegt, so neigt sie dazu, die politischen Entscheidungen nach recht kurzer Zeit widerspruchslos zu akzeptieren und zum wirtschaftlichen Alltagsgeschäft überzugehen. Und das heißt
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