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Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Paqué
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globalen Finanzmärkten erst möglich machten. Dazu zählen die amerikanische Geldpolitik in den frühen 2000er-Jahren („money glut“) ebenso wie die globale „savings glut“ und vielleicht auch eine transatlantische „banking glut“. Alle halfen gemeinsam, eine letztlich unhaltbare Situation entstehen zu lassen. 130 Gleichwohl bleibt die Frage: Wieso sorgte die globale Labilität ausgerechnet für eine Schuldenkrise in Europa, und zwar eine, die gerade die peripheren Aufholländer besonders hart traf und nicht das westliche Zentrum? Die Konstellation ist ähnlich wie bei der Erklärung der Weltwirtschaftskrise 1929/32 und ihrer Folgen für einzelne Nationen. Damals lag die Ursache der Krise eindeutig in den Vereinigten Staaten, aber in Europa wurden vor allem Deutschland und Österreich besonders hart getroffen. Dies hatte seinerzeit spezifische realwirtschaftliche Gründe, 131 die weit tiefer reichten als die geld- und kreditwirtschaftlichen Bedingungen und Fehlentscheidungen, die zu dem gigantischen Ausmaß der Krise beitrugen.
    Genauso ist es heute, diesmal mit Blick auf die geografische Peripherie Europas. Die Kernfrage ist dabei: Warum floss in den Jahren der „Great Moderation“ so viel Kapital zu günstigen Zinsen in diese Peripherie? Die Antwort lautet: Der Markt antizipierte die schlichte Fortdauer des beobachteten Aufholprozesses gegenüber dem westlichen Zentrum. Es ging gewissermaßen um dessen letzte große Etappe: bei Spanien etwa 20 Prozent, bei Griechenland etwa 30 Prozent, bei Portugal noch über 40 Prozent, jeweils gemessen als Abstand von der Arbeitsproduktivität Deutschlands. In allen Erwartungen der politischen und wirtschaftlichen Akteure wurde dieser Weg vorweggenommen, eine Art gigantische Abschlagszahlung auf eine antizipierte Konvergenz. Man lebte über seine Verhältnisse, aber man tat es nur deshalb, weil alle erwarteten, dass sich diese Verhältnisse „in Kürze“ nochmals grundlegend verbessern werden, genauso wie in den vorangegangenen Jahrzehnten. 132
    Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass diese Erwartungen keineswegs begrenzt waren auf einen kleinen Teil von professionellen Akteuren an den Finanzmärkten, die stets zu spekulativen Geschäften bereitstehen. Viel plausibler ist im Rückblick die Interpretation, dass praktisch das gesamte politische und wirtschaftliche Establishment Europas diese fundamentale Sicht des alten Kontinents als konvergierenden Wirtschaftsraum teilte. Es gab seinerzeit nur sehr wenige Stimmen, die vor einer Überhitzung in der geografischen Peripherie warnten. Dabei gab es durchaus kritische Bestandsaufnahmen, aber die Kritik richtete sich vor allem gegen die Politik und die wirtschaftliche Entwicklung im westlichen Zentrum und gerade nicht in der Peripherie. Es war die Zeit, als hierzulande von prominenten Ökonomen Beiträge erschienen, die sich betont pessimistisch zur Zukunft Deutschlands äußerten. Paradigmatisch sind die Arbeiten des Präsidenten des ifo Instituts Hans-Werner Sinn, der unter anderem in zwei viel gelesenen Büchern mit den vielsagenden Titeln Ist Deutschland noch zu retten? und Die Basar-Ökonomie das Bild einer deutschen Wirtschaft (und Politik) entwarf, die ihren großen Herausforderungen – Arbeitslosigkeit, Deutsche Einheit, Globalisierung – nicht gewachsen war und immer mehr zu einer deindustrialisierten, wertschöpfungsschwachen Wirtschaft mit überbordendem Sozialstaat verkam. In diesem Bild wurde das alternde industrielle Zentrum Europas eher zum Opfer der Dynamik an der geografischen Peripherie, wo Direkt- und Finanzinvestitionen in großem Stil hinflossen. Von einer kritischen Sicht drohender Disparitäten konnte jedenfalls keine Rede sein. 133
    Auch die gesamte Rhetorik der Europäischen Union sowie der OECD und anderer externer Beobachter ging in diese Richtung: Zwar gab es gelegentliche Mahnungen und Warnungen an die Aufholländer, keine allzu großen externen Defizite aufzubauen und die interne Absorption ihrer Volkswirtschaften wirkungsvoller zu kontrollieren. Aber diese Aufrufe hatten nichts von jener dramatischen Dringlichkeit, die man sich im Nachhinein gerne gewünscht hätte. Es mag dabei gerade auch bei der Europäischen Union eine gewisse politische Schönfärberei mit im Spiel gewesen sein, denn das statistische Bild der fortschreitenden Konvergenz schmückte natürlich die Bilanz von rund einem halben Jahrhundert europäischer Integration. 134 Aber alles in allem lag der Hauptgrund für die

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