Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
konkret: Anpassung an die neue Lage. Tatsächlich war dies auch in Deutschland das charakteristische Verhaltensmuster, das die Energiekonzerne und ihre Vertreter an den Tag legten, als im Jahr 2000 der Kernkraftausstieg, dann 2009 die Laufzeitverlängerung für ältere Reaktoren und 2011 wieder der Ausstieg beschlossen wurden. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass im Zuge der Industriepolitik nach der Energiewende auch die kritischen Stimmen aus der Energiewirtschaft immer mehr verstummen. Insofern bröckelt auch an dieser Front sehr schnell der Widerstand. Es ist deshalb aus politischer Sicht keineswegs so, dass die öffentliche Diskussion auf Dauer von einer Art „Kräftegleichgewicht“ beherrscht wird, wo auf der einen Seite die starke „intellektuelle Lobby“ der Befürworter der Energiewende, auf der anderen Seite die starke „wirtschaftliche Lobby“ dagegen steht. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass mit der Entscheidung für die Energiewende die erste Gruppe immer stärker und die zweite Gruppe immer schwächer wird.
Ist deshalb die Energiewende mit all ihren wirtschaftlichen Risiken unabänderlich – intellektuell, gesellschaftlich, politisch? Derzeit sieht es so aus, und darin könnte das größte Risiko für die Zukunft der deutschen Industrie in den nächsten Jahrzehnten liegen. In gewisser Weise könnte sie Opfer ihres eigenen Erfolgs werden: Ihre hohe Innovationskraft und die niedrigen Kapitalkosten geben einer idealistisch gestimmten Öffentlichkeit ein bemerkenswert starkes Vertrauen, dass eine staatlich getriebene, massive Umlenkung der Innovationskraft dem Land und den Menschen keineswegs schadet. Allerdings ist der weitere industriepolitische Weg in der Umsetzung der Energiewende doch noch gepflastert mit einer Fülle von Problemen, die dem Prozess seine Geradlinigkeit nehmen könnten. Mehr als das: Selbst ein Scheitern wäre denkbar, wenngleich eine Umkehr teuer und schwierig ausfiele.
Das Hauptproblem ist dabei die Öffentlichkeit – und nicht irgendwelche mysteriösen Lobbykräfte. Denn sie setzt zwar auf idealistische Visionen einer besseren Welt in der noch fernen Zukunft, neigt aber gleichzeitig dazu, die Anforderungen auf dem Weg dahin zu ignorieren oder zumindest massiv zu unterschätzen. Dies gilt vor allem für zweierlei, den Aufbau der Infrastruktur und den Wandel der Werte. Beide könnten in den kommenden Jahrzehnten noch umkämpfte Terrains werden, auf denen die Auffassungen sehr viel härter aufeinanderprallen, als die Befürworter der Energiewende dies heute wahrhaben wollen.
Beim Aufbau der Infrastruktur liegt dies eigentlich auf der Hand. Wind- und Solarenergie brauchen zu ihrer optimalen Verteilung im Raum riesige Transportsysteme, also breite Trassen leistungsfähiger Hochspannungsleitungen quer durch Deutschland. Sie sind „flächenintensiv“, ähnlich wie der Straßenbau. Hinzu kommt der massive Ausbau der Speichertechnologie, um zeitliche Schwankungen von Angebot und Nachfrage auszugleichen – über Pumpspeicherwerke oder Ähnliches. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich der bisher nur punktuelle Widerstand gegen diese Infrastrukturen zu einer größeren Bewegung formiert, sobald das Ausmaß des nötigen Ausbaus konkret wird. Schon in den nächsten Jahren könnte es dazu kommen, da der Fahrplan der Energiewende eine Verzögerung eigentlich nicht zulässt. Die einheitliche Front der Befürworter erneuerbarer Energien wird dann Risse bekommen: Realisten werden Utopisten gegenüberstehen, und die Realisten werden in der Argumentation der Utopisten zunehmend zur Zielscheibe jener Kritik, die sich zu früheren Zeiten gegen die klassische Infrastrukturpolitik richtete – vom Bau der Autobahnen bis zur Errichtung von Atomkraftwerken. Die Auseinandersetzung kann dabei schnell jene hässlichen Züge annehmen, die aus den 1970er- und 1980er-Jahren bekannt sind. Es ist dann keineswegs klar, wie die Politik darauf reagieren wird. Ein zumindest teilweises Zurückrudern von allzu ehrgeizigen Zielen, ganz im Stil der Politik in den 1970er- und 1980er-Jahren, ist dabei keineswegs ausgeschlossen.
Noch grundsätzlicher könnte sich die Auseinandersetzung um einen Wertewandel darstellen, wenn dieser einmal zum Gegenstand konkreter Politik wird. Ansatzpunkt dafür ist das erklärte Ziel, massiv Energie einzusparen – ein Ziel, das in abstrakter Form in Deutschland einen geradezu unangreifbaren Status genießt. Natürlich weiß jeder, dass dies nicht ohne Opfer an Bequemlichkeit und
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