Volle Kanne
hoffen, dass niemand sie beobachtet hatte. Während sie noch darüber nachdachte, entdeckte sie Herman Bates, den Besitzer von Bates‘ Möbelladen und Mitglied des Stadtrats, der langsam in seinem neuen Stadtwagen vorbeifuhr und seinen Blick auf die Ziege richtete. Maggie brachte ein schwaches Lächeln zustande.
Nachdem Butterbohne ihr Geschäft endlich verrichtet hatte, stapften sie weiter. Maggies Füße schmerzten, als sie ihr Haus erreichten. Das war ein ungünstiger Tag, um ein Paar neue Schuhe einzulaufen, wie sie feststellte. Auf der anderen Straßenseite pflegten ihre Nachbarn Ben und Lydia Green ihre Blumenbeete.
Die beiden sahen auf. »Das ist aber eine nette kleine Zwergziege«, rief Ben herüber, so als wäre es ein alltäglicher Anblick, dass Maggie eine Ziege die Straße entlangführte. Wahrscheinlich war er deshalb nicht erstaunt, weil er ihr bereits dabei geholfen hatte, den Hühnerstall zu bauen. Lydia hingegen starrte sie wortlos an.
»Danke.« Maggie spürte ihre Blicke, als sie das Tier mit Mühe dazu bewegte, die Auffahrt hinauf und in ihren Garten hinter dem Haus zu trotten. Bevor sie die Ziege im Schatten an einen Baum anband, musste sie zuerst die leichte, sechs Meter lange Kette entwirren, die sich verknotet hatte. »Es tut mir leid, dass ich dich hier allein lassen muss, aber es ist nicht für lange«, erklärte sie der Ziege und vergewisserte sich, dass Butterbohne genügend Bewegungsfreiheit hatte.
Sie füllte einen Eimer mit frischem Wasser und holte eine Tüte Karotten aus ihrem Kühlschrank. »Damit solltest du bis zum Abendessen auskommen«, meinte sie, während sie die Möhren aus der Tüte schüttelte. Butterbohne verlor keine Zeit und machte sich sofort darüber her.
Maggie betrat das ehemalige Bauernhaus, das ihren Großeltern gehört hatte. Sie schenkte sich ein Glas Wasser ein, nippte langsam daran und versuchte, sich zu beruhigen. Jetzt brauchte sie dringend eine Dusche; ihr weißer Rock und der melonenfarbene Blazer waren durchgeschwitzt, und ihr dunkles Haar, das ihr über die Schultern fiel, fühlte sich an ihrem Nacken an wie ein Wollschal. Während des Sommers waren die Temperaturen unaufhaltsam gestiegen, und obwohl der September eine kleine Erleichterung mit sich gebracht hatte, war die Luftfeuchtigkeit immer noch unerträglich hoch.
Ihre Gedanken wanderten zu Carl Lee Stanton zurück. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass er auf dem Weg nach Beaumont war. Was sollte sie nur tun? Sie musste sich ihre Tochter schnappen und mit ihr die Stadt verlassen. Ja, das war die Lösung.
Maggie seufzte. Wenn sie für nächste Woche nur nicht jede Menge Patienten auf dem Plan stehen hätte; Routineuntersuchungen, frischgebackene Mütter, die zum ersten Mal mit ihren Babys kamen, ein kleiner Junge, der sich wegen seines geschwächten Immunsystems im Krankenhaus unzähligen Tests unterziehen musste. Die Patienten, die ohne Termin in die Sprechstunde kamen, hatte sie dabei noch gar nicht mitgezählt – offensichtlich war die Hälfte der Kinder in der Stadt stark erkältet.
Und nun musste sie sich auch noch um eine Ziege kümmern.
Verdammt.
Sie beschloss, Mel wegzuschicken. Maggie öffnete eine Schublade, die ihre Tochter als Schlamperkiste bezeichnete. Darin befand sich ein Sammelsurium von Dingen, die sie nie benutzten, aber auch nicht wegwarfen, weil man ja nicht wusste, wofür man sie noch brauchen konnte. Ganz hinten, neben einem verhedderten hellgrünen Garnknäuel und einem Päckchen Pfeifenreiniger, befand sich ihr Vorrat an Schokoriegeln. Sie brauchte jetzt einen gewissen Pegel an Endorphin, Serotonin und Dopamin im Blut. Niemand konnte von ihr erwarten, dass sie diesen Stress ohne eine gelegentliche Dosis Schokolade bewältigte, oder? Mit zwei Bissen vertilgte sie den ersten Riegel und griff sofort nach dem zweiten. Dann legte sie ihn zurück.
Nein, sie würde auf keinen Fall Schokolade als Stütze benutzen, um mit dieser Situation fertigzuwerden.
Sie war stark.
Sie war mutig.
»Ja, klar doch«, murmelte sie und holte rasch den Schokoladenriegel wieder aus der Schublade, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Sie hatte eine Heidenangst; das war die »Wahrheit, der sie ins Auge sehen musste.
Ein Blick auf die Wanduhr riss sie aus ihren Gedanken. In zwanzig Minuten würde die Glocke in Mels Schule läuten.
Maggie hastete in ihr Schlafzimmer, zog ihre Berufskleidung aus und schlüpfte in Jeans und ein T-Shirt mit der Aufschrift
Ja, ich bin der Mittelpunkt des
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