Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
bezweifle ich, dass ich je allein bin …« Risa wirft einen Blick auf den großen Wandspiegel, durch den sie gelegentlich Schatten sehen kann. Sie kommt direkt auf den Punkt. »Bin ich also eine Art politische Gefangene? Oder verkaufen Sie mich an Teilepiraten? Die Teile, die funktionieren, meine ich.«
»Keins von beidem«, erwidert die Frau. »Ich bin hier, weil ich dir helfen will. Und du, meine Liebe, wirst uns helfen.«
»Das bezweifle ich.« Risa fährt mit ihrem Rollstuhl so weit weg, wie sie eben fahren kann. Die Frau steht nicht auf, ja sie rührt sich nicht einmal, sondern bleibt völlig unbeeindruckt sitzen. Risa wollte Herrin der Lage werden, aber diese Frau beherrscht sie allein mit ihrer Stimme.
»Ich heiße Roberta. Ich vertrete das Proaktive Bürgerforum. Unser Ziel ist es, Gutes in der Welt zu tun. Wir fördern Wissenschaft, Freiheit und spirituelle Aufklärung.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«
Roberta lächelt und hält einen Augenblick inne. »Ich werde dafür sorgen, dass man die Anklagen gegen dich fallen lässt, Risa. Aber vor allem werde ich dich aus diesem Rollstuhl holen und dir ein neues Rückgrat verschaffen.«
Risa schaut ihr direkt in die Augen. In ihr toben Gefühle, die sie im Moment nicht sortieren kann. »Nein, das werden Sie nicht! Ich habe das Recht, die Wirbelsäule eines Wandlers abzulehnen.«
»Ja, das stimmt«, räumt Roberta viel zu ruhig ein. »Ich glaube aber, dass du es dir anders überlegen wirst.«
Risa verschränkt die Arme. Das wird sie mit Sicherheit niemals tun.
Man hat ihr erneut Einsamkeit verordnet, aber offenbar verlieren sie die Geduld, denn diesmal dauert es statt einer Woche nur zwei Tage, bis Roberta wiederkommt. Sie setzt sich auf den Stuhl für Leute, die gehen können. Diesmal hat sie einen Ordner dabei, dessen Innenleben Risa nicht sehen kann.
»Hast du dir mein Angebot überlegt?«, fragt Roberta.
»Das brauche ich nicht. Ich habe Ihnen meine Antwort gegeben.«
»Es ist sehr edel, die Wirbelsäule eines Wandlers aus Prinzip abzulehnen«, sagt Roberta. »Aus dieser Haltung spricht allerdings eine falsche Denkart, die unproduktiv und unbeweglich ist. Sie ist sogar kontraproduktiv und macht dich zum Teil des Problems.«
»Ich bin entschlossen, meine ›falsche Denkart‹ ebenso zu behalten wie meinen Rollstuhl.«
»Na schön. Ich kann gegen deine Entscheidung nichts tun.« Roberta rutscht ein wenig auf ihrem Stuhl hin und her, vielleicht aus Verärgerung, vielleicht auch im Wissen dessen, was jetzt kommt. »Ich möchte dir gern jemanden vorstellen.« Sie steht auf und öffnet die Tür. Wer immer im Nebenzimmer wartet, hat Risa durch den Einwegspiegel beobachtet.
»Du kannst jetzt hereinkommen«, ruft Roberta fröhlich.
Ein Junge betritt vorsichtig das Zimmer. Er sieht aus wie sechzehn. Seine Haut und die Strähnen seines Haars haben viele verschiedene Schattierungen. Zuerst denkt Risa, dass er seinen Körper extrem hat verändern lassen, aber rasch wird ihr klar, dass die Sache komplizierter ist. Etwas an ihm stimmt ganz und gar nicht.
»Hi«, sagt er und lächelt sie zaghaft an. Perfekte Zähne werden sichtbar. »Ich bin Cam. Ich habe mich so darauf gefreut, dich kennenzulernen, Risa.«
Risa weicht vor ihm zurück, bis ihr Rollstuhl gegen die Wand knallt. Jetzt erst begreift sie, was sie da vor sich hat, warum dieser Junge so merkwürdig wirkt. Sie hat im Fernsehen einen Bericht über seine Erschaffung gesehen. Ihr kribbelt die Haut, und mit jeder Faser ihres Körpers würde sie am liebsten durch die Belüftungsschlitze kriechen, um dem Anblick zu entfliehen.
»Schaffen Sie das Ding weg! Es ist ekelhaft! Schaffen Sie es weg!«
Risas Entsetzen spiegelt sich in seinem Gesicht. Auch er weicht zurück und stößt mit dem Rücken an die Wand.
»Es ist alles in Ordnung, Cam«, versucht Roberta ihn zu beruhigen. »Du weißt doch, dass sich die Leute erst an dich gewöhnen müssen. Und sie wird sich an dich gewöhnen.« Roberta bietet ihm den Stuhl an, aber plötzlich will Cam nicht mehr bleiben, will genauso fliehen wie Risa.
Risa heftet den Blick auf Roberta, damit sie Cam nicht mehr ansehen muss. »Ich habe gesagt, schaffen sie es hier raus.«
»Ich bin kein ›Es‹«, protestiert Cam.
Risa schüttelt den Kopf. »Doch, bist du.« Sie weigert sich noch immer, ihn direkt anzusehen. »Nun schaffen sie es schon weg, oder ich schwöre, ich reiße ihm jeden gestohlenen Teil seines Körpers mit bloßen Händen raus.«
Sie will es nicht
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